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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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Brüder, und so Seelenerschütternd seine Predigt
wider den Meineid gewesen war, so sanftrüh¬
rend war diese; die Worte flossen nun wie Ho¬
nig von seinen Lippen, jede seiner Bewegungen
war anders, sein ganzes Wesen schien sich nach
dem Stoff, wovon er predigte, verändert zu
haben. Und doch war hiebei nicht die mindeste
Affektation. Es war ihm natürlich, sich mit
allen seinen Gedanken und Empfindungen, die
der Stoff seiner Rede veranlaßte, zu verweben.

Diesen Vormittag hatte Anton mit erstaun¬
lich langer Weile dem andern Prediger dieser
Kirche zugehört -- er gerieth ein paarmal in eine
Art von Wuth gegen ihn, da sich alles anließ,
als ob er jetzt Amen sagen würde, und er dann
von neuem in dem alten Tone wieder anfing.
Jetzt war es mehr wie jemals Antons größte
Qual, einer solchen langweiligen Predigt zuzu¬
hören, da er sich nicht enthalten konnte, bestän¬
dig Vergleichungen anzustellen, nachdem er sich
einmal die Predigt des Pastor P... als das
höchste Ideal, gedacht hatte, welches ihm von
jedem andern unerreichbar schien.

Als

Bruͤder, und ſo Seelenerſchuͤtternd ſeine Predigt
wider den Meineid geweſen war, ſo ſanftruͤh¬
rend war dieſe; die Worte floſſen nun wie Ho¬
nig von ſeinen Lippen, jede ſeiner Bewegungen
war anders, ſein ganzes Weſen ſchien ſich nach
dem Stoff, wovon er predigte, veraͤndert zu
haben. Und doch war hiebei nicht die mindeſte
Affektation. Es war ihm natuͤrlich, ſich mit
allen ſeinen Gedanken und Empfindungen, die
der Stoff ſeiner Rede veranlaßte, zu verweben.

Dieſen Vormittag hatte Anton mit erſtaun¬
lich langer Weile dem andern Prediger dieſer
Kirche zugehoͤrt — er gerieth ein paarmal in eine
Art von Wuth gegen ihn, da ſich alles anließ,
als ob er jetzt Amen ſagen wuͤrde, und er dann
von neuem in dem alten Tone wieder anfing.
Jetzt war es mehr wie jemals Antons groͤßte
Qual, einer ſolchen langweiligen Predigt zuzu¬
hoͤren, da er ſich nicht enthalten konnte, beſtaͤn¬
dig Vergleichungen anzuſtellen, nachdem er ſich
einmal die Predigt des Paſtor P... als das
hoͤchſte Ideal, gedacht hatte, welches ihm von
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[124/0134] Bruͤder, und ſo Seelenerſchuͤtternd ſeine Predigt wider den Meineid geweſen war, ſo ſanftruͤh¬ rend war dieſe; die Worte floſſen nun wie Ho¬ nig von ſeinen Lippen, jede ſeiner Bewegungen war anders, ſein ganzes Weſen ſchien ſich nach dem Stoff, wovon er predigte, veraͤndert zu haben. Und doch war hiebei nicht die mindeſte Affektation. Es war ihm natuͤrlich, ſich mit allen ſeinen Gedanken und Empfindungen, die der Stoff ſeiner Rede veranlaßte, zu verweben. Dieſen Vormittag hatte Anton mit erſtaun¬ lich langer Weile dem andern Prediger dieſer Kirche zugehoͤrt — er gerieth ein paarmal in eine Art von Wuth gegen ihn, da ſich alles anließ, als ob er jetzt Amen ſagen wuͤrde, und er dann von neuem in dem alten Tone wieder anfing. Jetzt war es mehr wie jemals Antons groͤßte Qual, einer ſolchen langweiligen Predigt zuzu¬ hoͤren, da er ſich nicht enthalten konnte, beſtaͤn¬ dig Vergleichungen anzuſtellen, nachdem er ſich einmal die Predigt des Paſtor P... als das hoͤchſte Ideal, gedacht hatte, welches ihm von jedem andern unerreichbar ſchien. Als

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/134>, abgerufen am 27.11.2024.