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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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Die Gnade wurde dem Verbrecher nicht so
leicht gemacht; sie mußte durch Gebet und Thrä¬
nen errungen werden. Und jetzt war es, als
wolle er sie durch sein eignes Gebet und Thränen
vor allem Volke vor Gott erringen, indem er sich
selbst an die Stelle des seelenzerknirschten Sün¬
ders setzte. --

Dem Verzweifelnden wurde zugerufen: knie
nieder in Staub und Asche, bis deine Knie wund
sind, und sprich: ich habe gesündiget im Himmel
und vor dir -- und so fing sich ein jeder Periode
an mit: ich habe gesündigt im Himmel und vor
dir! und dann folgte nach der Reihe das Be¬
kenntniß: Wittwen und Waisen hab' ich unter¬
drückt; dem Schwachen hab' ich seine einzige
Stütze, dem Hungrigen sein Brod genommen --
so ging es durch das ganze Register der Freveltha¬
ten. -- Und ieder Periode schloß sich dann -- Herr,
ist es möglich, daß ich noch Gnade finde! --

Alles zerschmolz nun in Wehmuth und Thrä¬
nen -- Der Refrain bei jedem Perioden that eine
unglaubliche Wirkung -- es war, als wenn
jedesmal die Empfindung einen neuen elektrischen
Schlag erhielt, wodurch sie bis zum höchsten

Grade
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Die Gnade wurde dem Verbrecher nicht ſo
leicht gemacht; ſie mußte durch Gebet und Thraͤ¬
nen errungen werden. Und jetzt war es, als
wolle er ſie durch ſein eignes Gebet und Thraͤnen
vor allem Volke vor Gott erringen, indem er ſich
ſelbſt an die Stelle des ſeelenzerknirſchten Suͤn¬
ders ſetzte. —

Dem Verzweifelnden wurde zugerufen: knie
nieder in Staub und Aſche, bis deine Knie wund
ſind, und ſprich: ich habe geſuͤndiget im Himmel
und vor dir — und ſo fing ſich ein jeder Periode
an mit: ich habe geſuͤndigt im Himmel und vor
dir! und dann folgte nach der Reihe das Be¬
kenntniß: Wittwen und Waiſen hab' ich unter¬
druͤckt; dem Schwachen hab' ich ſeine einzige
Stuͤtze, dem Hungrigen ſein Brod genommen —
ſo ging es durch das ganze Regiſter der Freveltha¬
ten. — Und ieder Periode ſchloß ſich dann — Herr,
iſt es moͤglich, daß ich noch Gnade finde! —

Alles zerſchmolz nun in Wehmuth und Thraͤ¬
nen — Der Refrain bei jedem Perioden that eine
unglaubliche Wirkung — es war, als wenn
jedesmal die Empfindung einen neuen elektriſchen
Schlag erhielt, wodurch ſie bis zum hoͤchſten

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[121/0131] Die Gnade wurde dem Verbrecher nicht ſo leicht gemacht; ſie mußte durch Gebet und Thraͤ¬ nen errungen werden. Und jetzt war es, als wolle er ſie durch ſein eignes Gebet und Thraͤnen vor allem Volke vor Gott erringen, indem er ſich ſelbſt an die Stelle des ſeelenzerknirſchten Suͤn¬ ders ſetzte. — Dem Verzweifelnden wurde zugerufen: knie nieder in Staub und Aſche, bis deine Knie wund ſind, und ſprich: ich habe geſuͤndiget im Himmel und vor dir — und ſo fing ſich ein jeder Periode an mit: ich habe geſuͤndigt im Himmel und vor dir! und dann folgte nach der Reihe das Be¬ kenntniß: Wittwen und Waiſen hab' ich unter¬ druͤckt; dem Schwachen hab' ich ſeine einzige Stuͤtze, dem Hungrigen ſein Brod genommen — ſo ging es durch das ganze Regiſter der Freveltha¬ ten. — Und ieder Periode ſchloß ſich dann — Herr, iſt es moͤglich, daß ich noch Gnade finde! — Alles zerſchmolz nun in Wehmuth und Thraͤ¬ nen — Der Refrain bei jedem Perioden that eine unglaubliche Wirkung — es war, als wenn jedesmal die Empfindung einen neuen elektriſchen Schlag erhielt, wodurch ſie bis zum hoͤchſten Grade H 5

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/131>, abgerufen am 23.11.2024.