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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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Art von innerer Werthschätzung, die ihm die
Anstrengung seiner Kräfte verschafte; und oft
würde er diesen Zustand kaum gegen die peinliche
Lage wieder vertauscht haben, worin er sich beim
Genuß der strengen und alle Freiheit vernichten¬
den Freundschaft L. . .s befand.

Dieser aber fing jetzt an, ihn immer härter
zu drücken: oft mußte er in der bittersten Kälte,
den ganzen Tag über, in einer ungeheitzten
Stube Wolle kratzen. Dies war ein klüglich
ausgesonnenes Mittel des Hrn. L. . ., um An¬
tons Arbeitsamkeit zu vermehren: denn wenn er
nicht vor Kälte umkommen wollte, so mußte er
sich rühren, so viel nur in seinen Kräften stand,
daß ihm Abends oft beide Arme wie gelähmt,
und doch Hände und Füße erfroren waren.

Diese Arbeit machte ihm wegen ihrer ewigen
Einförmigkeit sein Loos am bittersten. Beson¬
ders, wenn manchmal seine Phantasie dabei nicht
in Gang kommen wollte; war diese hingegen
durch den schnellern Umlauf des Bluts einmal
in Bewegung gerathen, so flossen ihm oft die
Stunden des Tages unvermerkt vorüber. Er
verlohr sich oft in entzückenden Aussichten. Zu¬

Art von innerer Werthſchaͤtzung, die ihm die
Anſtrengung ſeiner Kraͤfte verſchafte; und oft
wuͤrde er dieſen Zuſtand kaum gegen die peinliche
Lage wieder vertauſcht haben, worin er ſich beim
Genuß der ſtrengen und alle Freiheit vernichten¬
den Freundſchaft L. . .s befand.

Dieſer aber fing jetzt an, ihn immer haͤrter
zu druͤcken: oft mußte er in der bitterſten Kaͤlte,
den ganzen Tag uͤber, in einer ungeheitzten
Stube Wolle kratzen. Dies war ein kluͤglich
ausgeſonnenes Mittel des Hrn. L. . ., um An¬
tons Arbeitſamkeit zu vermehren: denn wenn er
nicht vor Kaͤlte umkommen wollte, ſo mußte er
ſich ruͤhren, ſo viel nur in ſeinen Kraͤften ſtand,
daß ihm Abends oft beide Arme wie gelaͤhmt,
und doch Haͤnde und Fuͤße erfroren waren.

Dieſe Arbeit machte ihm wegen ihrer ewigen
Einfoͤrmigkeit ſein Loos am bitterſten. Beſon¬
ders, wenn manchmal ſeine Phantaſie dabei nicht
in Gang kommen wollte; war dieſe hingegen
durch den ſchnellern Umlauf des Bluts einmal
in Bewegung gerathen, ſo floſſen ihm oft die
Stunden des Tages unvermerkt voruͤber. Er
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[109/0119] Art von innerer Werthſchaͤtzung, die ihm die Anſtrengung ſeiner Kraͤfte verſchafte; und oft wuͤrde er dieſen Zuſtand kaum gegen die peinliche Lage wieder vertauſcht haben, worin er ſich beim Genuß der ſtrengen und alle Freiheit vernichten¬ den Freundſchaft L. . .s befand. Dieſer aber fing jetzt an, ihn immer haͤrter zu druͤcken: oft mußte er in der bitterſten Kaͤlte, den ganzen Tag uͤber, in einer ungeheitzten Stube Wolle kratzen. Dies war ein kluͤglich ausgeſonnenes Mittel des Hrn. L. . ., um An¬ tons Arbeitſamkeit zu vermehren: denn wenn er nicht vor Kaͤlte umkommen wollte, ſo mußte er ſich ruͤhren, ſo viel nur in ſeinen Kraͤften ſtand, daß ihm Abends oft beide Arme wie gelaͤhmt, und doch Haͤnde und Fuͤße erfroren waren. Dieſe Arbeit machte ihm wegen ihrer ewigen Einfoͤrmigkeit ſein Loos am bitterſten. Beſon¬ ders, wenn manchmal ſeine Phantaſie dabei nicht in Gang kommen wollte; war dieſe hingegen durch den ſchnellern Umlauf des Bluts einmal in Bewegung gerathen, ſo floſſen ihm oft die Stunden des Tages unvermerkt voruͤber. Er verlohr ſich oft in entzuͤckenden Ausſichten. Zu¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/119>, abgerufen am 23.11.2024.