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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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Gegenwart zu gehen fürchtete, weil er an jedem
Tritt etwas zu tadeln fand. -- Seine Intole¬
ranz erstreckte sich bis auf jedes Lächeln, und
jeden unschuldigen Ausbruch des Vergnügens,
der sich in Antons Mienen oder Bewegungen
zeigte: denn hier konnte er sie einmal recht nach
Gefallen auslassen, weil er wußte, daß ihm nicht
widersprochen werden durfte.

Während der Zeit wurden die ganz verblich¬
nen fünf Sinne an dem schwarzen Getäfel der
Wand wieder neu überfirnißt -- die Erinnerung
an den Geruch davon, welcher einige Wochen
dauerte, war bei Anton nachher beständig mit
der Idee von seinem damaligen Zustande verge¬
sellschaftet. So oft er einen Firnißgeruch em¬
pfand, stiegen unwillkührlich alle die unange¬
nehmen Bilder aus jener Zeit in seiner Seele
auf; und umgekehrt, wenn er zuweilen in eine
Lage kam, die mit jener einige zufällige Aehn¬
lichkeiten hatte, glaubte er auch, einen Firni߬
geruch zu empfinden.

Ein Zufall verbesserte Antons Lage in etwas.

Der Hutmacher L. . . war ein äußerst hypo¬
chondrischer Schwärmer; er glaubte an Ahndun¬

Gegenwart zu gehen fuͤrchtete, weil er an jedem
Tritt etwas zu tadeln fand. — Seine Intole¬
ranz erſtreckte ſich bis auf jedes Laͤcheln, und
jeden unſchuldigen Ausbruch des Vergnuͤgens,
der ſich in Antons Mienen oder Bewegungen
zeigte: denn hier konnte er ſie einmal recht nach
Gefallen auslaſſen, weil er wußte, daß ihm nicht
widerſprochen werden durfte.

Waͤhrend der Zeit wurden die ganz verblich¬
nen fuͤnf Sinne an dem ſchwarzen Getaͤfel der
Wand wieder neu uͤberfirnißt — die Erinnerung
an den Geruch davon, welcher einige Wochen
dauerte, war bei Anton nachher beſtaͤndig mit
der Idee von ſeinem damaligen Zuſtande verge¬
ſellſchaftet. So oft er einen Firnißgeruch em¬
pfand, ſtiegen unwillkuͤhrlich alle die unange¬
nehmen Bilder aus jener Zeit in ſeiner Seele
auf; und umgekehrt, wenn er zuweilen in eine
Lage kam, die mit jener einige zufaͤllige Aehn¬
lichkeiten hatte, glaubte er auch, einen Firni߬
geruch zu empfinden.

Ein Zufall verbeſſerte Antons Lage in etwas.

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[93/0103] Gegenwart zu gehen fuͤrchtete, weil er an jedem Tritt etwas zu tadeln fand. — Seine Intole¬ ranz erſtreckte ſich bis auf jedes Laͤcheln, und jeden unſchuldigen Ausbruch des Vergnuͤgens, der ſich in Antons Mienen oder Bewegungen zeigte: denn hier konnte er ſie einmal recht nach Gefallen auslaſſen, weil er wußte, daß ihm nicht widerſprochen werden durfte. Waͤhrend der Zeit wurden die ganz verblich¬ nen fuͤnf Sinne an dem ſchwarzen Getaͤfel der Wand wieder neu uͤberfirnißt — die Erinnerung an den Geruch davon, welcher einige Wochen dauerte, war bei Anton nachher beſtaͤndig mit der Idee von ſeinem damaligen Zuſtande verge¬ ſellſchaftet. So oft er einen Firnißgeruch em¬ pfand, ſtiegen unwillkuͤhrlich alle die unange¬ nehmen Bilder aus jener Zeit in ſeiner Seele auf; und umgekehrt, wenn er zuweilen in eine Lage kam, die mit jener einige zufaͤllige Aehn¬ lichkeiten hatte, glaubte er auch, einen Firni߬ geruch zu empfinden. Ein Zufall verbeſſerte Antons Lage in etwas. Der Hutmacher L. . . war ein aͤußerſt hypo¬ chondriſcher Schwaͤrmer; er glaubte an Ahndun¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/103>, abgerufen am 23.11.2024.