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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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in vollem Jubel dieß neue Unterpfand der Wohl-
fahrt des Reichs in die Stadt zu bringen; Kna-
ben und junge Mädchen freuten sich, mit an das
Seil zu fassen; man riß einen Theil der Mauern
nieder; das Pferd stand mitten in Ilium. --

Man frohlockte bis tief in die Nacht, und
alles war zuletzt vom Taumel der Freude berauscht,
entschlummert; als Sinon an des hölzernen Pfer-
des Bauch die Leiter setzte, die Thür sich öfnete,
und die Helden leise hinunterstiegen.

In der Nähe stand schon das griechische Heer;
das Zeichen mit der angezündeten Fackel ward ge-
geben; durch die niedergerißne Mauer drang man
in die Stadt; und während noch der Schlummer
die Augenlieder seiner Einwohner deckte, war Troja
schon ein Raub der Flammen. An seinem Haus-
altare ward der Greis Priamus vom Pyrrhus
getödtet; Hekuba und Andromache, und die Töch-
ter des Priamus wurden gefangen hinwegge-
führt. -- Die Herrlichkeit von Troja war in
Schutt und Asche versunken.

Doch mußten die Griechen auch bei ihrer
Rückkehr noch für ihren theuer erkauften Sieg
mit mancherlei Unglücksfällen büßen. Am mei-
sten unter allen Ulysses, der zehn Jahre umher-
irrte, ehe er seine geliebte Heimath wieder erblickte.
Mit Gefahr und List entkam er dem Cyklopen
Polyphem, der, nach seinen Gefährten, auch

in vollem Jubel dieß neue Unterpfand der Wohl-
fahrt des Reichs in die Stadt zu bringen; Kna-
ben und junge Maͤdchen freuten ſich, mit an das
Seil zu faſſen; man riß einen Theil der Mauern
nieder; das Pferd ſtand mitten in Ilium.

Man frohlockte bis tief in die Nacht, und
alles war zuletzt vom Taumel der Freude berauſcht,
entſchlummert; als Sinon an des hoͤlzernen Pfer-
des Bauch die Leiter ſetzte, die Thuͤr ſich oͤfnete,
und die Helden leiſe hinunterſtiegen.

In der Naͤhe ſtand ſchon das griechiſche Heer;
das Zeichen mit der angezuͤndeten Fackel ward ge-
geben; durch die niedergerißne Mauer drang man
in die Stadt; und waͤhrend noch der Schlummer
die Augenlieder ſeiner Einwohner deckte, war Troja
ſchon ein Raub der Flammen. An ſeinem Haus-
altare ward der Greis Priamus vom Pyrrhus
getoͤdtet; Hekuba und Andromache, und die Toͤch-
ter des Priamus wurden gefangen hinwegge-
fuͤhrt. — Die Herrlichkeit von Troja war in
Schutt und Aſche verſunken.

Doch mußten die Griechen auch bei ihrer
Ruͤckkehr noch fuͤr ihren theuer erkauften Sieg
mit mancherlei Ungluͤcksfaͤllen buͤßen. Am mei-
ſten unter allen Ulyſſes, der zehn Jahre umher-
irrte, ehe er ſeine geliebte Heimath wieder erblickte.
Mit Gefahr und Liſt entkam er dem Cyklopen
Polyphem, der, nach ſeinen Gefaͤhrten, auch

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[380/0452] in vollem Jubel dieß neue Unterpfand der Wohl- fahrt des Reichs in die Stadt zu bringen; Kna- ben und junge Maͤdchen freuten ſich, mit an das Seil zu faſſen; man riß einen Theil der Mauern nieder; das Pferd ſtand mitten in Ilium. — Man frohlockte bis tief in die Nacht, und alles war zuletzt vom Taumel der Freude berauſcht, entſchlummert; als Sinon an des hoͤlzernen Pfer- des Bauch die Leiter ſetzte, die Thuͤr ſich oͤfnete, und die Helden leiſe hinunterſtiegen. In der Naͤhe ſtand ſchon das griechiſche Heer; das Zeichen mit der angezuͤndeten Fackel ward ge- geben; durch die niedergerißne Mauer drang man in die Stadt; und waͤhrend noch der Schlummer die Augenlieder ſeiner Einwohner deckte, war Troja ſchon ein Raub der Flammen. An ſeinem Haus- altare ward der Greis Priamus vom Pyrrhus getoͤdtet; Hekuba und Andromache, und die Toͤch- ter des Priamus wurden gefangen hinwegge- fuͤhrt. — Die Herrlichkeit von Troja war in Schutt und Aſche verſunken. Doch mußten die Griechen auch bei ihrer Ruͤckkehr noch fuͤr ihren theuer erkauften Sieg mit mancherlei Ungluͤcksfaͤllen buͤßen. Am mei- ſten unter allen Ulyſſes, der zehn Jahre umher- irrte, ehe er ſeine geliebte Heimath wieder erblickte. Mit Gefahr und Liſt entkam er dem Cyklopen Polyphem, der, nach ſeinen Gefaͤhrten, auch

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/452>, abgerufen am 08.05.2024.