tern hielt, bis in seinen Jünglingsjahren einige beunruhigende Zweifel ihn bewogen, das Orakel des Apollo um Rath zu fragen.
Das Orakel berührte den eigentlichen Punkt seiner Abkunft nicht, sondern warnte ihn nur, vor der Rückkehr in sein Vaterland, weil er daselbst seinen Vater tödten, und seine eigne Mutter zum Weibe nehmen würde. --
Oedipus suchte seinem Schicksal zu entgehen, indem er sich freiwillig von Korinth verbannte, das er noch immer für sein Vaterland hielt. -- In dieser Rücksicht begab er sich auf den Weg nach Theben, und ging unwissend seinem Schicksal ent- gegen.
Denn schon auf der Reise stieß er in einem engen Wege auf den Lajus, dem er nicht auswei- chen wollte, und darüber mit ihm und seinem Ge- folge in einen Streit gerieth, wovon das Ende war, daß Oedipus unwissend seinen eignen Vater erschlug, und auf die Weise ein Theil des Orakels in Erfüllung ging.
Als Oedipus nach Theben kam, fand er die Sphinx, ein von der Echidna gebohrnes, und von der Juno gesandtes geflügeltes Ungeheuer in Löwengestalt und mit jungfräulichem Antlitz, die Einwohner ängstigend.
Auf einem Felsen nicht weit von Theben saß die Sphinx, und gab den Vorbeigehenden ein
tern hielt, bis in ſeinen Juͤnglingsjahren einige beunruhigende Zweifel ihn bewogen, das Orakel des Apollo um Rath zu fragen.
Das Orakel beruͤhrte den eigentlichen Punkt ſeiner Abkunft nicht, ſondern warnte ihn nur, vor der Ruͤckkehr in ſein Vaterland, weil er daſelbſt ſeinen Vater toͤdten, und ſeine eigne Mutter zum Weibe nehmen wuͤrde. —
Oedipus ſuchte ſeinem Schickſal zu entgehen, indem er ſich freiwillig von Korinth verbannte, das er noch immer fuͤr ſein Vaterland hielt. — In dieſer Ruͤckſicht begab er ſich auf den Weg nach Theben, und ging unwiſſend ſeinem Schickſal ent- gegen.
Denn ſchon auf der Reiſe ſtieß er in einem engen Wege auf den Lajus, dem er nicht auswei- chen wollte, und daruͤber mit ihm und ſeinem Ge- folge in einen Streit gerieth, wovon das Ende war, daß Oedipus unwiſſend ſeinen eignen Vater erſchlug, und auf die Weiſe ein Theil des Orakels in Erfuͤllung ging.
Als Oedipus nach Theben kam, fand er die Sphinx, ein von der Echidna gebohrnes, und von der Juno geſandtes gefluͤgeltes Ungeheuer in Loͤwengeſtalt und mit jungfraͤulichem Antlitz, die Einwohner aͤngſtigend.
Auf einem Felſen nicht weit von Theben ſaß die Sphinx, und gab den Vorbeigehenden ein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0422"n="352"/>
tern hielt, bis in ſeinen Juͤnglingsjahren einige<lb/>
beunruhigende Zweifel ihn bewogen, das Orakel<lb/>
des Apollo um Rath zu fragen.</p><lb/><p>Das Orakel beruͤhrte den eigentlichen Punkt<lb/>ſeiner Abkunft nicht, ſondern warnte ihn nur,<lb/><hirendition="#fr">vor der Ruͤckkehr in ſein Vaterland, weil er<lb/>
daſelbſt ſeinen Vater toͤdten, und ſeine eigne<lb/>
Mutter zum Weibe nehmen wuͤrde.</hi>—</p><lb/><p>Oedipus ſuchte ſeinem Schickſal zu entgehen,<lb/>
indem er ſich freiwillig von Korinth verbannte,<lb/>
das er noch immer fuͤr ſein Vaterland hielt. —<lb/>
In dieſer Ruͤckſicht begab er ſich auf den Weg nach<lb/>
Theben, und ging unwiſſend ſeinem Schickſal ent-<lb/>
gegen.</p><lb/><p>Denn ſchon auf der Reiſe ſtieß er in einem<lb/>
engen Wege auf den Lajus, dem er nicht auswei-<lb/>
chen wollte, und daruͤber mit ihm und ſeinem Ge-<lb/>
folge in einen Streit gerieth, wovon das Ende<lb/>
war, daß Oedipus unwiſſend ſeinen eignen Vater<lb/>
erſchlug, und auf die Weiſe ein Theil des Orakels<lb/>
in Erfuͤllung ging.</p><lb/><p>Als Oedipus nach Theben kam, fand er die<lb/><hirendition="#fr">Sphinx,</hi> ein von der Echidna gebohrnes, und<lb/>
von der Juno geſandtes gefluͤgeltes Ungeheuer in<lb/>
Loͤwengeſtalt und mit jungfraͤulichem Antlitz, die<lb/>
Einwohner aͤngſtigend.</p><lb/><p>Auf einem Felſen nicht weit von Theben ſaß<lb/>
die Sphinx, und gab den Vorbeigehenden ein<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[352/0422]
tern hielt, bis in ſeinen Juͤnglingsjahren einige
beunruhigende Zweifel ihn bewogen, das Orakel
des Apollo um Rath zu fragen.
Das Orakel beruͤhrte den eigentlichen Punkt
ſeiner Abkunft nicht, ſondern warnte ihn nur,
vor der Ruͤckkehr in ſein Vaterland, weil er
daſelbſt ſeinen Vater toͤdten, und ſeine eigne
Mutter zum Weibe nehmen wuͤrde. —
Oedipus ſuchte ſeinem Schickſal zu entgehen,
indem er ſich freiwillig von Korinth verbannte,
das er noch immer fuͤr ſein Vaterland hielt. —
In dieſer Ruͤckſicht begab er ſich auf den Weg nach
Theben, und ging unwiſſend ſeinem Schickſal ent-
gegen.
Denn ſchon auf der Reiſe ſtieß er in einem
engen Wege auf den Lajus, dem er nicht auswei-
chen wollte, und daruͤber mit ihm und ſeinem Ge-
folge in einen Streit gerieth, wovon das Ende
war, daß Oedipus unwiſſend ſeinen eignen Vater
erſchlug, und auf die Weiſe ein Theil des Orakels
in Erfuͤllung ging.
Als Oedipus nach Theben kam, fand er die
Sphinx, ein von der Echidna gebohrnes, und
von der Juno geſandtes gefluͤgeltes Ungeheuer in
Loͤwengeſtalt und mit jungfraͤulichem Antlitz, die
Einwohner aͤngſtigend.
Auf einem Felſen nicht weit von Theben ſaß
die Sphinx, und gab den Vorbeigehenden ein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/422>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.