Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

im Fluge sich zu erheben! -- Dieser aber vergaß
der Warnung, -- da schmolzen ihm die Flügel im
Sonnenstrahl, und er fand in dem Meere seinen
Tod, das man nach seinen Nahmen das Ikari-
sche
nannte. -- Dädalus, der den Talus stürzte,
sah nun zu seiner Qual den Fall seines eignen
Sohnes, den er nicht retten konnte.

Er selber ließ sich in Sicilien nieder, wo
Kokalus ihn gastfreundlich aufnahm, und ihn
vor der Verfolgung des Minos schützte, dem er
bei einem Besuch sogar das Leben raubte, und
auf die Weise den Dädalus sicher stellte, welcher
zur Dankbarkeit verschiedne große Werke in dem
Gebiete des Kokalus unternahm; Kanäle und
Teiche grub; ein Schloß auf einem Felsen erbaute;
den Gipfel des Berges Eryx ebnete; und zuletzt
eine goldne Kuh, von ihm selbst verfertigt, der
Erycinischen Venus weihte.

Geraume Zeit nachher fand man noch Spu-
ren von seinen Werken; -- sein Nahme ward
zum Sprichwort, worunter man alles sinnreich
Erfundne und Künstliche mit einemmal begriff. --

Auf einer antiken Gemme, deren Umriß auf
der hier beigefügten Kupfertafel sich befindet, ist
Dädalus dargestellt, wie er sitzend und sinnend
an dem vor ihm stehenden künstlichen Flügel
noch mit bildender Hand arbeitet. -- Auf eben
dieser Tafel befindet sich auch, nach einem antiken

im Fluge ſich zu erheben! — Dieſer aber vergaß
der Warnung, — da ſchmolzen ihm die Fluͤgel im
Sonnenſtrahl, und er fand in dem Meere ſeinen
Tod, das man nach ſeinen Nahmen das Ikari-
ſche
nannte. — Daͤdalus, der den Talus ſtuͤrzte,
ſah nun zu ſeiner Qual den Fall ſeines eignen
Sohnes, den er nicht retten konnte.

Er ſelber ließ ſich in Sicilien nieder, wo
Kokalus ihn gaſtfreundlich aufnahm, und ihn
vor der Verfolgung des Minos ſchuͤtzte, dem er
bei einem Beſuch ſogar das Leben raubte, und
auf die Weiſe den Daͤdalus ſicher ſtellte, welcher
zur Dankbarkeit verſchiedne große Werke in dem
Gebiete des Kokalus unternahm; Kanaͤle und
Teiche grub; ein Schloß auf einem Felſen erbaute;
den Gipfel des Berges Eryx ebnete; und zuletzt
eine goldne Kuh, von ihm ſelbſt verfertigt, der
Eryciniſchen Venus weihte.

Geraume Zeit nachher fand man noch Spu-
ren von ſeinen Werken; — ſein Nahme ward
zum Sprichwort, worunter man alles ſinnreich
Erfundne und Kuͤnſtliche mit einemmal begriff. —

Auf einer antiken Gemme, deren Umriß auf
der hier beigefuͤgten Kupfertafel ſich befindet, iſt
Daͤdalus dargeſtellt, wie er ſitzend und ſinnend
an dem vor ihm ſtehenden kuͤnſtlichen Fluͤgel
noch mit bildender Hand arbeitet. — Auf eben
dieſer Tafel befindet ſich auch, nach einem antiken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0342" n="286"/>
im Fluge &#x017F;ich zu erheben! &#x2014; Die&#x017F;er aber vergaß<lb/>
der Warnung, &#x2014; da &#x017F;chmolzen ihm die Flu&#x0364;gel im<lb/>
Sonnen&#x017F;trahl, und er fand in dem Meere &#x017F;einen<lb/>
Tod, das man nach &#x017F;einen Nahmen das <hi rendition="#fr">Ikari-<lb/>
&#x017F;che</hi> nannte. &#x2014; Da&#x0364;dalus, der den <hi rendition="#fr">Talus</hi> &#x017F;tu&#x0364;rzte,<lb/>
&#x017F;ah nun zu &#x017F;einer Qual den Fall &#x017F;eines eignen<lb/>
Sohnes, den er nicht retten konnte.</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;elber ließ &#x017F;ich in Sicilien nieder, wo<lb/><hi rendition="#fr">Kokalus</hi> ihn ga&#x017F;tfreundlich aufnahm, und ihn<lb/>
vor der Verfolgung des Minos &#x017F;chu&#x0364;tzte, dem er<lb/>
bei einem Be&#x017F;uch &#x017F;ogar das Leben raubte, und<lb/>
auf die Wei&#x017F;e den Da&#x0364;dalus &#x017F;icher &#x017F;tellte, welcher<lb/>
zur Dankbarkeit ver&#x017F;chiedne große Werke in dem<lb/>
Gebiete des Kokalus unternahm; Kana&#x0364;le und<lb/>
Teiche grub; ein Schloß auf einem Fel&#x017F;en erbaute;<lb/>
den Gipfel des Berges <hi rendition="#fr">Eryx</hi> ebnete; und zuletzt<lb/>
eine goldne Kuh, von ihm &#x017F;elb&#x017F;t verfertigt, der<lb/><hi rendition="#fr">Erycini&#x017F;chen Venus</hi> weihte.</p><lb/>
          <p>Geraume Zeit nachher fand man noch Spu-<lb/>
ren von &#x017F;einen Werken; &#x2014; &#x017F;ein Nahme ward<lb/>
zum Sprichwort, worunter man alles &#x017F;innreich<lb/>
Erfundne und Ku&#x0364;n&#x017F;tliche mit einemmal begriff. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Auf einer antiken Gemme, deren Umriß auf<lb/>
der hier beigefu&#x0364;gten Kupfertafel &#x017F;ich befindet, i&#x017F;t<lb/>
Da&#x0364;dalus darge&#x017F;tellt, wie er &#x017F;itzend und &#x017F;innend<lb/>
an dem vor ihm &#x017F;tehenden <hi rendition="#fr">ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Flu&#x0364;gel</hi><lb/>
noch mit bildender Hand arbeitet. &#x2014; Auf eben<lb/>
die&#x017F;er Tafel befindet &#x017F;ich auch, nach einem antiken<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0342] im Fluge ſich zu erheben! — Dieſer aber vergaß der Warnung, — da ſchmolzen ihm die Fluͤgel im Sonnenſtrahl, und er fand in dem Meere ſeinen Tod, das man nach ſeinen Nahmen das Ikari- ſche nannte. — Daͤdalus, der den Talus ſtuͤrzte, ſah nun zu ſeiner Qual den Fall ſeines eignen Sohnes, den er nicht retten konnte. Er ſelber ließ ſich in Sicilien nieder, wo Kokalus ihn gaſtfreundlich aufnahm, und ihn vor der Verfolgung des Minos ſchuͤtzte, dem er bei einem Beſuch ſogar das Leben raubte, und auf die Weiſe den Daͤdalus ſicher ſtellte, welcher zur Dankbarkeit verſchiedne große Werke in dem Gebiete des Kokalus unternahm; Kanaͤle und Teiche grub; ein Schloß auf einem Felſen erbaute; den Gipfel des Berges Eryx ebnete; und zuletzt eine goldne Kuh, von ihm ſelbſt verfertigt, der Eryciniſchen Venus weihte. Geraume Zeit nachher fand man noch Spu- ren von ſeinen Werken; — ſein Nahme ward zum Sprichwort, worunter man alles ſinnreich Erfundne und Kuͤnſtliche mit einemmal begriff. — Auf einer antiken Gemme, deren Umriß auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel ſich befindet, iſt Daͤdalus dargeſtellt, wie er ſitzend und ſinnend an dem vor ihm ſtehenden kuͤnſtlichen Fluͤgel noch mit bildender Hand arbeitet. — Auf eben dieſer Tafel befindet ſich auch, nach einem antiken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/342
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/342>, abgerufen am 09.05.2024.