Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun legte Jupiter, da er einst die Juno schlum-
mernd fand, den Herkules ihr an die Brust, und die-
ser sog ihr unbewußt die Göttermilch. -- Als aber
Juno erwachte, so schleuderte sie den kühnen Säug-
ling weit von sich hinweg, und verschüttete auf des
Himmels Wölbung die Tropfen Milch, die ihrer
Brust entfielen, und deren Spur die Milchstraße
bildete, auf welcher die Götter wandeln.

Die Dichtung wird hier kolossal; der Luft-
kreis selber, durch welchen die Sterne schimmern,
tritt als der Juno erstes Urbild auf, und färbt
sich von der Milch, welche den Brüsten der hohen
Himmelskönigin entströmte; -- jenes Urbild wur-
de vorausgesetzt, wenn die Dichtung den weißlich-
ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt.

Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den
Herkules seinen Erziehern übergeben, die ihn in
den kriegerischen sowohl als in den sanften Künsten
unterwiesen. Unter den Lehrern und Erziehern
des Herkules waren selbst Göttersöhne; in der
Musik unterwieß ihn Linus, ein Sohn des Apollo;
Chiron, der weise Centaur, in der Arznei- und
Kräuterkunde. -- In den kriegerischen Künsten
waren die berühmtesten Helden der damaligen
Zeit, in jedem besondern Fache, seine Lehrer.

Da nun Herkules unter diesen Beschäftigun-
gen zu den Jünglingsjahren gekommen war, be-
gab er sich einst, über sein künftiges Schicksal nach-

Nun legte Jupiter, da er einſt die Juno ſchlum-
mernd fand, den Herkules ihr an die Bruſt, und die-
ſer ſog ihr unbewußt die Goͤttermilch. — Als aber
Juno erwachte, ſo ſchleuderte ſie den kuͤhnen Saͤug-
ling weit von ſich hinweg, und verſchuͤttete auf des
Himmels Woͤlbung die Tropfen Milch, die ihrer
Bruſt entfielen, und deren Spur die Milchſtraße
bildete, auf welcher die Goͤtter wandeln.

Die Dichtung wird hier koloſſal; der Luft-
kreis ſelber, durch welchen die Sterne ſchimmern,
tritt als der Juno erſtes Urbild auf, und faͤrbt
ſich von der Milch, welche den Bruͤſten der hohen
Himmelskoͤnigin entſtroͤmte; — jenes Urbild wur-
de vorausgeſetzt, wenn die Dichtung den weißlich-
ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt.

Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den
Herkules ſeinen Erziehern uͤbergeben, die ihn in
den kriegeriſchen ſowohl als in den ſanften Kuͤnſten
unterwieſen. Unter den Lehrern und Erziehern
des Herkules waren ſelbſt Goͤtterſoͤhne; in der
Muſik unterwieß ihn Linus, ein Sohn des Apollo;
Chiron, der weiſe Centaur, in der Arznei- und
Kraͤuterkunde. — In den kriegeriſchen Kuͤnſten
waren die beruͤhmteſten Helden der damaligen
Zeit, in jedem beſondern Fache, ſeine Lehrer.

Da nun Herkules unter dieſen Beſchaͤftigun-
gen zu den Juͤnglingsjahren gekommen war, be-
gab er ſich einſt, uͤber ſein kuͤnftiges Schickſal nach-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0273" n="223"/>
          <p>Nun legte Jupiter, da er ein&#x017F;t die Juno &#x017F;chlum-<lb/>
mernd fand, den Herkules ihr an die Bru&#x017F;t, und die-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;og ihr unbewußt die Go&#x0364;ttermilch. &#x2014; Als aber<lb/>
Juno erwachte, &#x017F;o &#x017F;chleuderte &#x017F;ie den ku&#x0364;hnen Sa&#x0364;ug-<lb/>
ling weit von &#x017F;ich hinweg, und ver&#x017F;chu&#x0364;ttete auf des<lb/>
Himmels Wo&#x0364;lbung die Tropfen Milch, die ihrer<lb/>
Bru&#x017F;t entfielen, und deren Spur die Milch&#x017F;traße<lb/>
bildete, auf welcher die Go&#x0364;tter wandeln.</p><lb/>
          <p>Die Dichtung wird hier kolo&#x017F;&#x017F;al; der Luft-<lb/>
kreis &#x017F;elber, durch welchen die Sterne &#x017F;chimmern,<lb/>
tritt als der Juno er&#x017F;tes Urbild auf, und fa&#x0364;rbt<lb/>
&#x017F;ich von der Milch, welche den Bru&#x0364;&#x017F;ten der hohen<lb/>
Himmelsko&#x0364;nigin ent&#x017F;tro&#x0364;mte; &#x2014; jenes Urbild wur-<lb/>
de vorausge&#x017F;etzt, wenn die Dichtung den weißlich-<lb/>
ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt.</p><lb/>
          <p>Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den<lb/>
Herkules &#x017F;einen Erziehern u&#x0364;bergeben, die ihn in<lb/>
den kriegeri&#x017F;chen &#x017F;owohl als in den &#x017F;anften Ku&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
unterwie&#x017F;en. Unter den Lehrern und Erziehern<lb/>
des Herkules waren &#x017F;elb&#x017F;t Go&#x0364;tter&#x017F;o&#x0364;hne; in der<lb/>
Mu&#x017F;ik unterwieß ihn <hi rendition="#fr">Linus,</hi> ein Sohn des Apollo;<lb/><hi rendition="#fr">Chiron,</hi> der wei&#x017F;e Centaur, in der Arznei- und<lb/>
Kra&#x0364;uterkunde. &#x2014; In den kriegeri&#x017F;chen Ku&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
waren die beru&#x0364;hmte&#x017F;ten Helden der damaligen<lb/>
Zeit, in jedem be&#x017F;ondern Fache, &#x017F;eine Lehrer.</p><lb/>
          <p>Da nun Herkules unter die&#x017F;en Be&#x017F;cha&#x0364;ftigun-<lb/>
gen zu den Ju&#x0364;nglingsjahren gekommen war, be-<lb/>
gab er &#x017F;ich ein&#x017F;t, u&#x0364;ber &#x017F;ein ku&#x0364;nftiges Schick&#x017F;al nach-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0273] Nun legte Jupiter, da er einſt die Juno ſchlum- mernd fand, den Herkules ihr an die Bruſt, und die- ſer ſog ihr unbewußt die Goͤttermilch. — Als aber Juno erwachte, ſo ſchleuderte ſie den kuͤhnen Saͤug- ling weit von ſich hinweg, und verſchuͤttete auf des Himmels Woͤlbung die Tropfen Milch, die ihrer Bruſt entfielen, und deren Spur die Milchſtraße bildete, auf welcher die Goͤtter wandeln. Die Dichtung wird hier koloſſal; der Luft- kreis ſelber, durch welchen die Sterne ſchimmern, tritt als der Juno erſtes Urbild auf, und faͤrbt ſich von der Milch, welche den Bruͤſten der hohen Himmelskoͤnigin entſtroͤmte; — jenes Urbild wur- de vorausgeſetzt, wenn die Dichtung den weißlich- ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt. Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den Herkules ſeinen Erziehern uͤbergeben, die ihn in den kriegeriſchen ſowohl als in den ſanften Kuͤnſten unterwieſen. Unter den Lehrern und Erziehern des Herkules waren ſelbſt Goͤtterſoͤhne; in der Muſik unterwieß ihn Linus, ein Sohn des Apollo; Chiron, der weiſe Centaur, in der Arznei- und Kraͤuterkunde. — In den kriegeriſchen Kuͤnſten waren die beruͤhmteſten Helden der damaligen Zeit, in jedem beſondern Fache, ſeine Lehrer. Da nun Herkules unter dieſen Beſchaͤftigun- gen zu den Juͤnglingsjahren gekommen war, be- gab er ſich einſt, uͤber ſein kuͤnftiges Schickſal nach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/273
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/273>, abgerufen am 09.05.2024.