Nun legte Jupiter, da er einst die Juno schlum- mernd fand, den Herkules ihr an die Brust, und die- ser sog ihr unbewußt die Göttermilch. -- Als aber Juno erwachte, so schleuderte sie den kühnen Säug- ling weit von sich hinweg, und verschüttete auf des Himmels Wölbung die Tropfen Milch, die ihrer Brust entfielen, und deren Spur die Milchstraße bildete, auf welcher die Götter wandeln.
Die Dichtung wird hier kolossal; der Luft- kreis selber, durch welchen die Sterne schimmern, tritt als der Juno erstes Urbild auf, und färbt sich von der Milch, welche den Brüsten der hohen Himmelskönigin entströmte; -- jenes Urbild wur- de vorausgesetzt, wenn die Dichtung den weißlich- ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt.
Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den Herkules seinen Erziehern übergeben, die ihn in den kriegerischen sowohl als in den sanften Künsten unterwiesen. Unter den Lehrern und Erziehern des Herkules waren selbst Göttersöhne; in der Musik unterwieß ihn Linus, ein Sohn des Apollo; Chiron, der weise Centaur, in der Arznei- und Kräuterkunde. -- In den kriegerischen Künsten waren die berühmtesten Helden der damaligen Zeit, in jedem besondern Fache, seine Lehrer.
Da nun Herkules unter diesen Beschäftigun- gen zu den Jünglingsjahren gekommen war, be- gab er sich einst, über sein künftiges Schicksal nach-
Nun legte Jupiter, da er einſt die Juno ſchlum- mernd fand, den Herkules ihr an die Bruſt, und die- ſer ſog ihr unbewußt die Goͤttermilch. — Als aber Juno erwachte, ſo ſchleuderte ſie den kuͤhnen Saͤug- ling weit von ſich hinweg, und verſchuͤttete auf des Himmels Woͤlbung die Tropfen Milch, die ihrer Bruſt entfielen, und deren Spur die Milchſtraße bildete, auf welcher die Goͤtter wandeln.
Die Dichtung wird hier koloſſal; der Luft- kreis ſelber, durch welchen die Sterne ſchimmern, tritt als der Juno erſtes Urbild auf, und faͤrbt ſich von der Milch, welche den Bruͤſten der hohen Himmelskoͤnigin entſtroͤmte; — jenes Urbild wur- de vorausgeſetzt, wenn die Dichtung den weißlich- ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt.
Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den Herkules ſeinen Erziehern uͤbergeben, die ihn in den kriegeriſchen ſowohl als in den ſanften Kuͤnſten unterwieſen. Unter den Lehrern und Erziehern des Herkules waren ſelbſt Goͤtterſoͤhne; in der Muſik unterwieß ihn Linus, ein Sohn des Apollo; Chiron, der weiſe Centaur, in der Arznei- und Kraͤuterkunde. — In den kriegeriſchen Kuͤnſten waren die beruͤhmteſten Helden der damaligen Zeit, in jedem beſondern Fache, ſeine Lehrer.
Da nun Herkules unter dieſen Beſchaͤftigun- gen zu den Juͤnglingsjahren gekommen war, be- gab er ſich einſt, uͤber ſein kuͤnftiges Schickſal nach-
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Nun legte Jupiter, da er einſt die Juno ſchlum-
mernd fand, den Herkules ihr an die Bruſt, und die-
ſer ſog ihr unbewußt die Goͤttermilch. — Als aber
Juno erwachte, ſo ſchleuderte ſie den kuͤhnen Saͤug-
ling weit von ſich hinweg, und verſchuͤttete auf des
Himmels Woͤlbung die Tropfen Milch, die ihrer
Bruſt entfielen, und deren Spur die Milchſtraße
bildete, auf welcher die Goͤtter wandeln.
Die Dichtung wird hier koloſſal; der Luft-
kreis ſelber, durch welchen die Sterne ſchimmern,
tritt als der Juno erſtes Urbild auf, und faͤrbt
ſich von der Milch, welche den Bruͤſten der hohen
Himmelskoͤnigin entſtroͤmte; — jenes Urbild wur-
de vorausgeſetzt, wenn die Dichtung den weißlich-
ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt.
Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den
Herkules ſeinen Erziehern uͤbergeben, die ihn in
den kriegeriſchen ſowohl als in den ſanften Kuͤnſten
unterwieſen. Unter den Lehrern und Erziehern
des Herkules waren ſelbſt Goͤtterſoͤhne; in der
Muſik unterwieß ihn Linus, ein Sohn des Apollo;
Chiron, der weiſe Centaur, in der Arznei- und
Kraͤuterkunde. — In den kriegeriſchen Kuͤnſten
waren die beruͤhmteſten Helden der damaligen
Zeit, in jedem beſondern Fache, ſeine Lehrer.
Da nun Herkules unter dieſen Beſchaͤftigun-
gen zu den Juͤnglingsjahren gekommen war, be-
gab er ſich einſt, uͤber ſein kuͤnftiges Schickſal nach-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/273>, abgerufen am 24.11.2024.
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