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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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schlachte unaufhörlich Opfer, die hier von allen Sei-
ten aus allen Ländern zuströmen werden. --

Nun wurde Delphi nahe am Tempel des
Apollo erbauet, und seine Einwohner wurden
reich und glücklich, wie der untrügliche Gott ge-
weißagt hatte. --

Ueber der dampfenden Höhle stand der gol-
dene Dreyfuß, auf welchen sich die Pythia setzte,
wenn sie drei Tage gefastet, den Saft aus den
Blättern des Lorbeerbaums gesogen, und im Ka-
stalischen Quell sich gebadet hatte.

Dann wurde sie von den Priestern mit Ge-
walt ins Heiligthum geführt. -- Sobald sie auf
dem Dreifuße saß, und der aufsteigende begeistern-
de Dampf auf sie zu wirken anhub, sträubte sich
ihr Haar empor; ihr Blick wurde wild; der
Mund fing an zu schäumen; Zittern ergriff ihren
ganzen Körper. --

Sie arbeitete mit Gewalt sich loszureißen,
und ihr Geheul erscholl im ganzen Tempel. --
Bis nach und nach einzelne abgebrochene Laute der
Sprache über ihre Lippen kamen, -- die jeder
Deutung fähig,
von den Priestern aufgezeich-
net, und zu Orakelsprüchen im abgemessenen Sil-
benfall gebildet wurden. -- Indeß man die ohn-
mächtige Pythia in ihre Zelle führte, wo sie nur
langsam von der Ermattung sich erhohlte.

ſchlachte unaufhoͤrlich Opfer, die hier von allen Sei-
ten aus allen Laͤndern zuſtroͤmen werden. —

Nun wurde Delphi nahe am Tempel des
Apollo erbauet, und ſeine Einwohner wurden
reich und gluͤcklich, wie der untruͤgliche Gott ge-
weißagt hatte. —

Ueber der dampfenden Hoͤhle ſtand der gol-
dene Dreyfuß, auf welchen ſich die Pythia ſetzte,
wenn ſie drei Tage gefaſtet, den Saft aus den
Blaͤttern des Lorbeerbaums geſogen, und im Ka-
ſtaliſchen Quell ſich gebadet hatte.

Dann wurde ſie von den Prieſtern mit Ge-
walt ins Heiligthum gefuͤhrt. — Sobald ſie auf
dem Dreifuße ſaß, und der aufſteigende begeiſtern-
de Dampf auf ſie zu wirken anhub, ſtraͤubte ſich
ihr Haar empor; ihr Blick wurde wild; der
Mund fing an zu ſchaͤumen; Zittern ergriff ihren
ganzen Koͤrper. —

Sie arbeitete mit Gewalt ſich loszureißen,
und ihr Geheul erſcholl im ganzen Tempel. —
Bis nach und nach einzelne abgebrochene Laute der
Sprache uͤber ihre Lippen kamen, — die jeder
Deutung faͤhig,
von den Prieſtern aufgezeich-
net, und zu Orakelſpruͤchen im abgemeſſenen Sil-
benfall gebildet wurden. — Indeß man die ohn-
maͤchtige Pythia in ihre Zelle fuͤhrte, wo ſie nur
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[186/0234] ſchlachte unaufhoͤrlich Opfer, die hier von allen Sei- ten aus allen Laͤndern zuſtroͤmen werden. — Nun wurde Delphi nahe am Tempel des Apollo erbauet, und ſeine Einwohner wurden reich und gluͤcklich, wie der untruͤgliche Gott ge- weißagt hatte. — Ueber der dampfenden Hoͤhle ſtand der gol- dene Dreyfuß, auf welchen ſich die Pythia ſetzte, wenn ſie drei Tage gefaſtet, den Saft aus den Blaͤttern des Lorbeerbaums geſogen, und im Ka- ſtaliſchen Quell ſich gebadet hatte. Dann wurde ſie von den Prieſtern mit Ge- walt ins Heiligthum gefuͤhrt. — Sobald ſie auf dem Dreifuße ſaß, und der aufſteigende begeiſtern- de Dampf auf ſie zu wirken anhub, ſtraͤubte ſich ihr Haar empor; ihr Blick wurde wild; der Mund fing an zu ſchaͤumen; Zittern ergriff ihren ganzen Koͤrper. — Sie arbeitete mit Gewalt ſich loszureißen, und ihr Geheul erſcholl im ganzen Tempel. — Bis nach und nach einzelne abgebrochene Laute der Sprache uͤber ihre Lippen kamen, — die jeder Deutung faͤhig, von den Prieſtern aufgezeich- net, und zu Orakelſpruͤchen im abgemeſſenen Sil- benfall gebildet wurden. — Indeß man die ohn- maͤchtige Pythia in ihre Zelle fuͤhrte, wo ſie nur langſam von der Ermattung ſich erhohlte.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/234>, abgerufen am 27.04.2024.