Das versteinernde Haupt der Medusa drohet auf dem Schilde, welcher Minervens Brust be- deckt; -- es ist der düstre freudenlose Nachtvo- gel, der über ihrem Haupte schwebt. -- Sie sel- ber ist es, die den duldenden, standhaften, kal- ten, und verschlagenen Ulysses in Schutz nimmt, und die aufgebrachten Helden zur Kaltblütigkeit zurückruft. --
Auch wird in diesen Dichtungen die sanftre kriegerische Macht der ungestümern als überlegen dargestellt. Da nemlich in dem Kriege vor Troja zuletzt die Götter selber, nachdem sie die Parthei der Griechen oder Trojaner nahmen, sich zum Streit auffordern; so tritt der wilde Kriegsgott Mars gegen die sanftre und erhabnere Pallas auf, und rennt mit seiner Lanze wüthend gegen ihren Schild an, wogegen selbst Jupiters Blitze nichts vermögen.
Sie aber tritt ein wenig zurück, und hebt mit starker Hand vom Felde einen ungeheuren Grenz- stein auf, den schleudert sie gegen die Stirne des Kriegesgottes, daß er darnieder fällt, und sieben Joch Landes deckt. --
Demohngeachtet aber läßt die Dichtung auch die Züge dieser männlichstarken erhabnen Göttin ganz leise wieder ins Weibliche übergehen. -- Denn da sie die Flöte erfunden hatte, und in der kla- ren Fluth sich spiegelnd, sahe, daß durch das Blasen
Das verſteinernde Haupt der Meduſa drohet auf dem Schilde, welcher Minervens Bruſt be- deckt; — es iſt der duͤſtre freudenloſe Nachtvo- gel, der uͤber ihrem Haupte ſchwebt. — Sie ſel- ber iſt es, die den duldenden, ſtandhaften, kal- ten, und verſchlagenen Ulyſſes in Schutz nimmt, und die aufgebrachten Helden zur Kaltbluͤtigkeit zuruͤckruft. —
Auch wird in dieſen Dichtungen die ſanftre kriegeriſche Macht der ungeſtuͤmern als uͤberlegen dargeſtellt. Da nemlich in dem Kriege vor Troja zuletzt die Goͤtter ſelber, nachdem ſie die Parthei der Griechen oder Trojaner nahmen, ſich zum Streit auffordern; ſo tritt der wilde Kriegsgott Mars gegen die ſanftre und erhabnere Pallas auf, und rennt mit ſeiner Lanze wuͤthend gegen ihren Schild an, wogegen ſelbſt Jupiters Blitze nichts vermoͤgen.
Sie aber tritt ein wenig zuruͤck, und hebt mit ſtarker Hand vom Felde einen ungeheuren Grenz- ſtein auf, den ſchleudert ſie gegen die Stirne des Kriegesgottes, daß er darnieder faͤllt, und ſieben Joch Landes deckt. —
Demohngeachtet aber laͤßt die Dichtung auch die Zuͤge dieſer maͤnnlichſtarken erhabnen Goͤttin ganz leiſe wieder ins Weibliche uͤbergehen. — Denn da ſie die Floͤte erfunden hatte, und in der kla- ren Fluth ſich ſpiegelnd, ſahe, daß durch das Blaſen
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Das verſteinernde Haupt der Meduſa drohet
auf dem Schilde, welcher Minervens Bruſt be-
deckt; — es iſt der duͤſtre freudenloſe Nachtvo-
gel, der uͤber ihrem Haupte ſchwebt. — Sie ſel-
ber iſt es, die den duldenden, ſtandhaften, kal-
ten, und verſchlagenen Ulyſſes in Schutz nimmt,
und die aufgebrachten Helden zur Kaltbluͤtigkeit
zuruͤckruft. —
Auch wird in dieſen Dichtungen die ſanftre
kriegeriſche Macht der ungeſtuͤmern als uͤberlegen
dargeſtellt. Da nemlich in dem Kriege vor Troja
zuletzt die Goͤtter ſelber, nachdem ſie die Parthei
der Griechen oder Trojaner nahmen, ſich zum
Streit auffordern; ſo tritt der wilde Kriegsgott
Mars gegen die ſanftre und erhabnere Pallas auf,
und rennt mit ſeiner Lanze wuͤthend gegen ihren
Schild an, wogegen ſelbſt Jupiters Blitze nichts
vermoͤgen.
Sie aber tritt ein wenig zuruͤck, und hebt mit
ſtarker Hand vom Felde einen ungeheuren Grenz-
ſtein auf, den ſchleudert ſie gegen die Stirne des
Kriegesgottes, daß er darnieder faͤllt, und ſieben
Joch Landes deckt. —
Demohngeachtet aber laͤßt die Dichtung auch
die Zuͤge dieſer maͤnnlichſtarken erhabnen Goͤttin
ganz leiſe wieder ins Weibliche uͤbergehen. —
Denn da ſie die Floͤte erfunden hatte, und in der kla-
ren Fluth ſich ſpiegelnd, ſahe, daß durch das Blaſen
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/159>, abgerufen am 24.11.2024.
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