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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Aegypten geflohen, und hätten dort sich alle in
Thiere verwandelt.

Obgleich mit dem Donnergott von einem Va-
ter erzeugt, ist dennoch Neptun, gleich dem Element,
das er beherrscht, die untergeordnete Macht. --
Da Iris in dem Kriege vor Troja dem Neptun die
Drohung des Jupiter überbringt; er möge sich ja
mit des Donnerers Macht nicht messen, und ablas-
sen den Griechen beizustehen; so antwortet ihr der
Erderschüttrer: "Jupiter sey so mächtig er wolle,
so hat er doch sehr stolz geredet! sind wir nicht alle
drei vom Saturnus erzeugt, und von der Rhea
gebohren? ist nicht unter uns das Reich getheilt?
Er mag seine Söhne und Töchter, aber nicht mich
mit solchen Worten schrecken!" -- Iris stellt ihm
vor: "den ältern Bruder schützt die Macht
der Erynnen!
" Und Neptun giebt dem Donn-
rer nach, und sagt die sanften Worte: "Du hast
sehr wohl gesprochen, o Göttin, und es ist gut,
wenn auch ein Bote das Nützliche weiß."

Das Urbild des Neptun ist die ungeheure
Wasserfläche, die gleichsam auf das Erhabene
zürnt, und es sich gleich zu machen strebt.
--
Als die Griechen in der Belagerung von Troja
nahe am Ufer des Meeres um ihre Schiffe eine
Mauer, zu einem Bollwerk gegen die Feinde er-
richtet hatten; so zürnte Neptun darüber und be-
klagte sich beim Jupiter: "Der Ruhm dieser

Aegypten geflohen, und haͤtten dort ſich alle in
Thiere verwandelt.

Obgleich mit dem Donnergott von einem Va-
ter erzeugt, iſt dennoch Neptun, gleich dem Element,
das er beherrſcht, die untergeordnete Macht. —
Da Iris in dem Kriege vor Troja dem Neptun die
Drohung des Jupiter uͤberbringt; er moͤge ſich ja
mit des Donnerers Macht nicht meſſen, und ablaſ-
ſen den Griechen beizuſtehen; ſo antwortet ihr der
Erderſchuͤttrer: „Jupiter ſey ſo maͤchtig er wolle,
ſo hat er doch ſehr ſtolz geredet! ſind wir nicht alle
drei vom Saturnus erzeugt, und von der Rhea
gebohren? iſt nicht unter uns das Reich getheilt?
Er mag ſeine Soͤhne und Toͤchter, aber nicht mich
mit ſolchen Worten ſchrecken!“ — Iris ſtellt ihm
vor: „den aͤltern Bruder ſchuͤtzt die Macht
der Erynnen!
“ Und Neptun giebt dem Donn-
rer nach, und ſagt die ſanften Worte: „Du haſt
ſehr wohl geſprochen, o Goͤttin, und es iſt gut,
wenn auch ein Bote das Nuͤtzliche weiß.“

Das Urbild des Neptun iſt die ungeheure
Waſſerflaͤche, die gleichſam auf das Erhabene
zuͤrnt, und es ſich gleich zu machen ſtrebt.

Als die Griechen in der Belagerung von Troja
nahe am Ufer des Meeres um ihre Schiffe eine
Mauer, zu einem Bollwerk gegen die Feinde er-
richtet hatten; ſo zuͤrnte Neptun daruͤber und be-
klagte ſich beim Jupiter: „Der Ruhm dieſer

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[117/0149] Aegypten geflohen, und haͤtten dort ſich alle in Thiere verwandelt. Obgleich mit dem Donnergott von einem Va- ter erzeugt, iſt dennoch Neptun, gleich dem Element, das er beherrſcht, die untergeordnete Macht. — Da Iris in dem Kriege vor Troja dem Neptun die Drohung des Jupiter uͤberbringt; er moͤge ſich ja mit des Donnerers Macht nicht meſſen, und ablaſ- ſen den Griechen beizuſtehen; ſo antwortet ihr der Erderſchuͤttrer: „Jupiter ſey ſo maͤchtig er wolle, ſo hat er doch ſehr ſtolz geredet! ſind wir nicht alle drei vom Saturnus erzeugt, und von der Rhea gebohren? iſt nicht unter uns das Reich getheilt? Er mag ſeine Soͤhne und Toͤchter, aber nicht mich mit ſolchen Worten ſchrecken!“ — Iris ſtellt ihm vor: „den aͤltern Bruder ſchuͤtzt die Macht der Erynnen!“ Und Neptun giebt dem Donn- rer nach, und ſagt die ſanften Worte: „Du haſt ſehr wohl geſprochen, o Goͤttin, und es iſt gut, wenn auch ein Bote das Nuͤtzliche weiß.“ Das Urbild des Neptun iſt die ungeheure Waſſerflaͤche, die gleichſam auf das Erhabene zuͤrnt, und es ſich gleich zu machen ſtrebt. — Als die Griechen in der Belagerung von Troja nahe am Ufer des Meeres um ihre Schiffe eine Mauer, zu einem Bollwerk gegen die Feinde er- richtet hatten; ſo zuͤrnte Neptun daruͤber und be- klagte ſich beim Jupiter: „Der Ruhm dieſer

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/149>, abgerufen am 03.05.2024.