Da wir nichts Uebermenschliches kennen, so konnte mit den erhabenen aus der Natur genom- menen Bildern auch nur das Menschliche sich ver- knüpfen. -- Es ist daher als ob die Menschheit selber in diesen Dichtungen sich näher mit der gros- sen Natur verwebte, und sich in süßen Träumen an sie anschmiegt.
Juno bezeichnet nun in einer höhern Sprache die hohe Gebietende, über den sanften Liebreitz selbst erhabene Schönheit. -- Als Juno den Ju- piter mit Liebreitz fesseln wollte, so mußte sie erst den Gürtel der Venus leihen, deren sanftere Schönheit schon vorher den Preis davon trug, als der Hirt auf Idas Gipfel den kühnen entscheiden- den Ausspruch that.
Da nun Juno sich schmückt, dem Jupiter zu gefallen, so ordnet sie, in ihrem Schlafgemach, ihr glänzendes Haar in Locken; sie salbet sich mit dem Oehle der Götter, wovon der Wohlgeruch, sobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur Erde sich verbreitet.
Sie zieht ihr göttliches Kleid an, das von der Minerva selbst gewebt ist, und hakt es auf der Brust mit goldenen Haken zu. -- Sie um- gürtet sich mit ihrem Gürtel, und bindet an ihre Füße die glänzenden Schuhe; den Gürtel der Ve- nus aber verbirgt sie in ihrem Busen. --
Da wir nichts Uebermenſchliches kennen, ſo konnte mit den erhabenen aus der Natur genom- menen Bildern auch nur das Menſchliche ſich ver- knuͤpfen. — Es iſt daher als ob die Menſchheit ſelber in dieſen Dichtungen ſich naͤher mit der gros- ſen Natur verwebte, und ſich in ſuͤßen Traͤumen an ſie anſchmiegt.
Juno bezeichnet nun in einer hoͤhern Sprache die hohe Gebietende, uͤber den ſanften Liebreitz ſelbſt erhabene Schoͤnheit. — Als Juno den Ju- piter mit Liebreitz feſſeln wollte, ſo mußte ſie erſt den Guͤrtel der Venus leihen, deren ſanftere Schoͤnheit ſchon vorher den Preis davon trug, als der Hirt auf Idas Gipfel den kuͤhnen entſcheiden- den Ausſpruch that.
Da nun Juno ſich ſchmuͤckt, dem Jupiter zu gefallen, ſo ordnet ſie, in ihrem Schlafgemach, ihr glaͤnzendes Haar in Locken; ſie ſalbet ſich mit dem Oehle der Goͤtter, wovon der Wohlgeruch, ſobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur Erde ſich verbreitet.
Sie zieht ihr goͤttliches Kleid an, das von der Minerva ſelbſt gewebt iſt, und hakt es auf der Bruſt mit goldenen Haken zu. — Sie um- guͤrtet ſich mit ihrem Guͤrtel, und bindet an ihre Fuͤße die glaͤnzenden Schuhe; den Guͤrtel der Ve- nus aber verbirgt ſie in ihrem Buſen. —
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Da wir nichts Uebermenſchliches kennen, ſo
konnte mit den erhabenen aus der Natur genom-
menen Bildern auch nur das Menſchliche ſich ver-
knuͤpfen. — Es iſt daher als ob die Menſchheit
ſelber in dieſen Dichtungen ſich naͤher mit der gros-
ſen Natur verwebte, und ſich in ſuͤßen Traͤumen
an ſie anſchmiegt.
Juno bezeichnet nun in einer hoͤhern Sprache
die hohe Gebietende, uͤber den ſanften Liebreitz
ſelbſt erhabene Schoͤnheit. — Als Juno den Ju-
piter mit Liebreitz feſſeln wollte, ſo mußte ſie erſt
den Guͤrtel der Venus leihen, deren ſanftere
Schoͤnheit ſchon vorher den Preis davon trug, als
der Hirt auf Idas Gipfel den kuͤhnen entſcheiden-
den Ausſpruch that.
Da nun Juno ſich ſchmuͤckt, dem Jupiter zu
gefallen, ſo ordnet ſie, in ihrem Schlafgemach,
ihr glaͤnzendes Haar in Locken; ſie ſalbet ſich mit
dem Oehle der Goͤtter, wovon der Wohlgeruch,
ſobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur
Erde ſich verbreitet.
Sie zieht ihr goͤttliches Kleid an, das von
der Minerva ſelbſt gewebt iſt, und hakt es auf
der Bruſt mit goldenen Haken zu. — Sie um-
guͤrtet ſich mit ihrem Guͤrtel, und bindet an ihre
Fuͤße die glaͤnzenden Schuhe; den Guͤrtel der Ve-
nus aber verbirgt ſie in ihrem Buſen. —
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/136>, abgerufen am 23.11.2024.
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