mend in dieser schönen Dichtung; die Harmonie des Ganzen wird durch kein einziges Bild gestört.
Die erhabene Juno heißt die herrschende, großäugigte, weißarmigte; -- es ist nicht sanfter Reitz der Augen, der ihre Bildung zeich- net; sondern Ehrfurcht einprägende Größe -- und von dem übrigen Umriß dieser Göttergestalt berührt die Dichtkunst nur die Schönheit des mächtigen Arms.
So wie nun aber gleich den Stürmen, die das Meer aufregen, die Eifersucht der Juno den Dichtungen Leben einhaucht; so sind ihr Urbild auch die tobenden Elemente, wovon das ganze Spiel der menschlichen Leidenschaften im Kleinen ein Abdruck ist.
Die Elemente sind im Streit; sie zürnen in Ungewittern, verdrängen und unterdrücken ein- ander; berauben und rächen sich. -- Der Felsen kracht im tobenden Meere, und unter dem Wind- stoß heult die Welle. -- Dieß alles aber beschränkt sich nur auf die niedre Atmosphäre.
Ueber dieser ist alles bleibend und regelmäs- sig. -- Alles hat Raum genug; -- im stillen Aether vollenden die Weltkörper ihre Bahnen, und nichts verdrängt, nichts hemmt das andre. --
Krieg und Empörung sind erst da, wo das ungemessene Ganze sich in die kleinern Punkte zu- sammendrängt, wo es sich aneinanderreibt, stößt
mend in dieſer ſchoͤnen Dichtung; die Harmonie des Ganzen wird durch kein einziges Bild geſtoͤrt.
Die erhabene Juno heißt die herrſchende, großaͤugigte, weißarmigte; — es iſt nicht ſanfter Reitz der Augen, der ihre Bildung zeich- net; ſondern Ehrfurcht einpraͤgende Groͤße — und von dem uͤbrigen Umriß dieſer Goͤttergeſtalt beruͤhrt die Dichtkunſt nur die Schoͤnheit des maͤchtigen Arms.
So wie nun aber gleich den Stuͤrmen, die das Meer aufregen, die Eiferſucht der Juno den Dichtungen Leben einhaucht; ſo ſind ihr Urbild auch die tobenden Elemente, wovon das ganze Spiel der menſchlichen Leidenſchaften im Kleinen ein Abdruck iſt.
Die Elemente ſind im Streit; ſie zuͤrnen in Ungewittern, verdraͤngen und unterdruͤcken ein- ander; berauben und raͤchen ſich. — Der Felſen kracht im tobenden Meere, und unter dem Wind- ſtoß heult die Welle. — Dieß alles aber beſchraͤnkt ſich nur auf die niedre Atmoſphaͤre.
Ueber dieſer iſt alles bleibend und regelmaͤs- ſig. — Alles hat Raum genug; — im ſtillen Aether vollenden die Weltkoͤrper ihre Bahnen, und nichts verdraͤngt, nichts hemmt das andre. —
Krieg und Empoͤrung ſind erſt da, wo das ungemeſſene Ganze ſich in die kleinern Punkte zu- ſammendraͤngt, wo es ſich aneinanderreibt, ſtoͤßt
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mend in dieſer ſchoͤnen Dichtung; die Harmonie
des Ganzen wird durch kein einziges Bild geſtoͤrt.
Die erhabene Juno heißt die herrſchende,
großaͤugigte, weißarmigte; — es iſt nicht
ſanfter Reitz der Augen, der ihre Bildung zeich-
net; ſondern Ehrfurcht einpraͤgende Groͤße —
und von dem uͤbrigen Umriß dieſer Goͤttergeſtalt
beruͤhrt die Dichtkunſt nur die Schoͤnheit des
maͤchtigen Arms.
So wie nun aber gleich den Stuͤrmen, die
das Meer aufregen, die Eiferſucht der Juno den
Dichtungen Leben einhaucht; ſo ſind ihr Urbild
auch die tobenden Elemente, wovon das ganze
Spiel der menſchlichen Leidenſchaften im Kleinen
ein Abdruck iſt.
Die Elemente ſind im Streit; ſie zuͤrnen in
Ungewittern, verdraͤngen und unterdruͤcken ein-
ander; berauben und raͤchen ſich. — Der Felſen
kracht im tobenden Meere, und unter dem Wind-
ſtoß heult die Welle. — Dieß alles aber beſchraͤnkt
ſich nur auf die niedre Atmoſphaͤre.
Ueber dieſer iſt alles bleibend und regelmaͤs-
ſig. — Alles hat Raum genug; — im ſtillen
Aether vollenden die Weltkoͤrper ihre Bahnen, und
nichts verdraͤngt, nichts hemmt das andre. —
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ungemeſſene Ganze ſich in die kleinern Punkte zu-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/134>, abgerufen am 23.11.2024.
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