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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

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finde wenigstens keine Gränzen beobachtet in den Buchstaben des Sanguinikers, nicht dieselben in denen des Cholerikers, noch weniger die nämlichen in denen des Pflegmatikers oder Boeotikers. Jeder setzet sich seine eigenen Gränzen, macht sich seine eigenen Formen, seine eigenen Zusätze durch Züge, seine eigenen Abkürzungen, kurz seine eigene Bearbeitung des Buchstabens. Eben dieses ist ein Beweiß, weil jeder Buchstabe gewisse Gränzen haben sollte, aber sie nicht hat, daß Ursache, physische Ursache des Körpers, des Nerven, des Temperaments, das auf die Seele Einfluß hat, da seyn müsse, welche diese Gesetzlosigkeit hervorbringe, -- eben die Ursache, welche in der Mahlerey den verschiedenen Styl und den verschiedenen Umriß bildet.

"Wie viel kommt allein nicht auf die Feder an? -- " Nicht mehr als auf den Pinsel, der die Empfindungen des Mahlers auf der Leinewand lebendig darstellt, und noch weniger, da der Schnitt der Feder selbst von der Hand des Schreibers abhängt, aber der Pinsel das Verdienst des Handwerkers ist, der sie alle nach einer Regel, nach einer mechanischen Routine macht, ohne auf den Mahler zu sehen, der ihn brauchen wird. Freilich mit einer verdorbenen Feder kann die Handschrift nur halb und wenig charakteristisch werden; wie mit einem verdorbenen Pinsel das Gemälde eines Mahlers, oder mit einer abgestumpften Reißfeder das


finde wenigstens keine Graͤnzen beobachtet in den Buchstaben des Sanguinikers, nicht dieselben in denen des Cholerikers, noch weniger die naͤmlichen in denen des Pflegmatikers oder Boeotikers. Jeder setzet sich seine eigenen Graͤnzen, macht sich seine eigenen Formen, seine eigenen Zusaͤtze durch Zuͤge, seine eigenen Abkuͤrzungen, kurz seine eigene Bearbeitung des Buchstabens. Eben dieses ist ein Beweiß, weil jeder Buchstabe gewisse Graͤnzen haben sollte, aber sie nicht hat, daß Ursache, physische Ursache des Koͤrpers, des Nerven, des Temperaments, das auf die Seele Einfluß hat, da seyn muͤsse, welche diese Gesetzlosigkeit hervorbringe, — eben die Ursache, welche in der Mahlerey den verschiedenen Styl und den verschiedenen Umriß bildet.

»Wie viel kommt allein nicht auf die Feder an? — « Nicht mehr als auf den Pinsel, der die Empfindungen des Mahlers auf der Leinewand lebendig darstellt, und noch weniger, da der Schnitt der Feder selbst von der Hand des Schreibers abhaͤngt, aber der Pinsel das Verdienst des Handwerkers ist, der sie alle nach einer Regel, nach einer mechanischen Routine macht, ohne auf den Mahler zu sehen, der ihn brauchen wird. Freilich mit einer verdorbenen Feder kann die Handschrift nur halb und wenig charakteristisch werden; wie mit einem verdorbenen Pinsel das Gemaͤlde eines Mahlers, oder mit einer abgestumpften Reißfeder das

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[52/0052] finde wenigstens keine Graͤnzen beobachtet in den Buchstaben des Sanguinikers, nicht dieselben in denen des Cholerikers, noch weniger die naͤmlichen in denen des Pflegmatikers oder Boeotikers. Jeder setzet sich seine eigenen Graͤnzen, macht sich seine eigenen Formen, seine eigenen Zusaͤtze durch Zuͤge, seine eigenen Abkuͤrzungen, kurz seine eigene Bearbeitung des Buchstabens. Eben dieses ist ein Beweiß, weil jeder Buchstabe gewisse Graͤnzen haben sollte, aber sie nicht hat, daß Ursache, physische Ursache des Koͤrpers, des Nerven, des Temperaments, das auf die Seele Einfluß hat, da seyn muͤsse, welche diese Gesetzlosigkeit hervorbringe, — eben die Ursache, welche in der Mahlerey den verschiedenen Styl und den verschiedenen Umriß bildet. »Wie viel kommt allein nicht auf die Feder an? — « Nicht mehr als auf den Pinsel, der die Empfindungen des Mahlers auf der Leinewand lebendig darstellt, und noch weniger, da der Schnitt der Feder selbst von der Hand des Schreibers abhaͤngt, aber der Pinsel das Verdienst des Handwerkers ist, der sie alle nach einer Regel, nach einer mechanischen Routine macht, ohne auf den Mahler zu sehen, der ihn brauchen wird. Freilich mit einer verdorbenen Feder kann die Handschrift nur halb und wenig charakteristisch werden; wie mit einem verdorbenen Pinsel das Gemaͤlde eines Mahlers, oder mit einer abgestumpften Reißfeder das

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/52>, abgerufen am 24.11.2024.