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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

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8. Heilung eines Melancholischen.

C. L. B. wurde als wirklicher Melancholischer von dem Herrn Doctor und Domphysikus Abel zu Halberstadt nach Berlin in die Charite geschickt. Da ich ihn das erstemal auf der Station erblickte, wankte gleich mein Vorsatz und Hofnung, etwas thun zu können; denn ich sah ihn zwar vom Bette auf allein die Stube und zwar auf einer Diele trippelnd auf- und niedergehen, die Arme und Hände steif am Leibe herabhängend, und jeden, der ihn anredete und fragte, zwar ansehen, aber keinem etwas antworten; statt nach geschehener Aufforderung, seine Hand darzureichen, sie und seine Füße ansehn und allenfalls gezwungen lächeln.

Jch sah ihn so, faßte noch Muth und ließ ihn zu mir führen. Aufrichtig zu gestehen, wußte ich anfangs nicht, wie ich mein Unternehmen mit diesem Menschen beginnen sollte, da ich weiter nichts, als das von Halberstadt herübergebrachte Gerücht seiner Religionsveränderung hatte, woran ich mich als an der Ursach seiner Melancholie halten konnte (einen Brief aus Halberstadt, daß er von einem hitzigen Fieber dort befallen, bekam ich nachher erst von seinem Vetter). Jch fing an mit ihm zu reden, allein auf den Zehen stehend trippelnd, starr nach


8. Heilung eines Melancholischen.

C. L. B. wurde als wirklicher Melancholischer von dem Herrn Doctor und Domphysikus Abel zu Halberstadt nach Berlin in die Charité geschickt. Da ich ihn das erstemal auf der Station erblickte, wankte gleich mein Vorsatz und Hofnung, etwas thun zu koͤnnen; denn ich sah ihn zwar vom Bette auf allein die Stube und zwar auf einer Diele trippelnd auf- und niedergehen, die Arme und Haͤnde steif am Leibe herabhaͤngend, und jeden, der ihn anredete und fragte, zwar ansehen, aber keinem etwas antworten; statt nach geschehener Aufforderung, seine Hand darzureichen, sie und seine Fuͤße ansehn und allenfalls gezwungen laͤcheln.

Jch sah ihn so, faßte noch Muth und ließ ihn zu mir fuͤhren. Aufrichtig zu gestehen, wußte ich anfangs nicht, wie ich mein Unternehmen mit diesem Menschen beginnen sollte, da ich weiter nichts, als das von Halberstadt heruͤbergebrachte Geruͤcht seiner Religionsveraͤnderung hatte, woran ich mich als an der Ursach seiner Melancholie halten konnte (einen Brief aus Halberstadt, daß er von einem hitzigen Fieber dort befallen, bekam ich nachher erst von seinem Vetter). Jch fing an mit ihm zu reden, allein auf den Zehen stehend trippelnd, starr nach

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[115/0115] 8. Heilung eines Melancholischen. C. L. B. wurde als wirklicher Melancholischer von dem Herrn Doctor und Domphysikus Abel zu Halberstadt nach Berlin in die Charité geschickt. Da ich ihn das erstemal auf der Station erblickte, wankte gleich mein Vorsatz und Hofnung, etwas thun zu koͤnnen; denn ich sah ihn zwar vom Bette auf allein die Stube und zwar auf einer Diele trippelnd auf- und niedergehen, die Arme und Haͤnde steif am Leibe herabhaͤngend, und jeden, der ihn anredete und fragte, zwar ansehen, aber keinem etwas antworten; statt nach geschehener Aufforderung, seine Hand darzureichen, sie und seine Fuͤße ansehn und allenfalls gezwungen laͤcheln. Jch sah ihn so, faßte noch Muth und ließ ihn zu mir fuͤhren. Aufrichtig zu gestehen, wußte ich anfangs nicht, wie ich mein Unternehmen mit diesem Menschen beginnen sollte, da ich weiter nichts, als das von Halberstadt heruͤbergebrachte Geruͤcht seiner Religionsveraͤnderung hatte, woran ich mich als an der Ursach seiner Melancholie halten konnte (einen Brief aus Halberstadt, daß er von einem hitzigen Fieber dort befallen, bekam ich nachher erst von seinem Vetter). Jch fing an mit ihm zu reden, allein auf den Zehen stehend trippelnd, starr nach

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/115>, abgerufen am 18.05.2024.