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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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alles in allem begrif, wie in der höchsten Rechtsregel: Suum cuique! die schon im Kantischen Satz des Widerspruchs: Keinem Ding kommt was Widersprechendes zu, am weitesten begriffen ist, realer im Sellischen: Das Daseyn, und was zum Daseyn gehört, kann unmöglich nicht da seyn.*)

So stimmte ihn Kants Kritik der Urtheilskraft zuerst ganz und gar zum pragmatischen Beobachter, auch alles Spekulativen, überall um. Denn auf Selbstdenken allein, oder blos Spekuliren, hält er außer dem Nothwendigen eben nicht viel, aber auf Selbstbeobachten, bis auf den Grund, unendlich viel.*) Das war eine ganze Revolu-

*) Dieser Satz, der einer Philosophie zum Grunde liegt, von der man bei ihrer höchsten Evidenz mit niemanden sprechen darf und kann -- stammt keinesweges aus der Kantischen Philosophie. Dieser zu Folge ist das (wirkliche) Daseyn eine Modalität die das Verhältniß des reellen Objekts (der Anschauung) zum Subjekt ausdrückt. Denkt man also alle Anschauungen weg, so wird dadurch auch ihr Daseyn weggedacht. Versteht aber Herr Obereit das blos logische Daseyn (das Setzen eines Prädikats), so gehört dieser Satz nicht blos der Kantischen, sondern einer jeden Philosophie überhaupt. S. M.
*) Hierin hat auch H. Obereit vollkommen Recht. Aber kann er das Kantische Moralprinzip durchs Selbstbeobachten bestätigen? Jch glaube schwerlich. Je mehr er (oder irgend ein andrer) sich selbst beobachten, und sich zu den Prinzipien seiner Handlungen auf dem Wege der Jnduktion nähern wird, desto mehr wird er sich von dem Kantischen Moralprinzip entfernen, indem er nach einer genauen psychologischen Entwickelung finden wird, daß, so entfernt von allem (materiellen) Jnteresse diese anfangs zu seyn scheinen, sie dennoch sich darin auflösen lassen; folglich kann er nicht durch das Selbstbeobachten, sondern nur durchs Selbsttäuschen und eine Art des Machtspruchs dazu gelangen. S. M.


alles in allem begrif, wie in der hoͤchsten Rechtsregel: Suum cuique! die schon im Kantischen Satz des Widerspruchs: Keinem Ding kommt was Widersprechendes zu, am weitesten begriffen ist, realer im Sellischen: Das Daseyn, und was zum Daseyn gehoͤrt, kann unmoͤglich nicht da seyn.*)

So stimmte ihn Kants Kritik der Urtheilskraft zuerst ganz und gar zum pragmatischen Beobachter, auch alles Spekulativen, uͤberall um. Denn auf Selbstdenken allein, oder blos Spekuliren, haͤlt er außer dem Nothwendigen eben nicht viel, aber auf Selbstbeobachten, bis auf den Grund, unendlich viel.*) Das war eine ganze Revolu-

*) Dieser Satz, der einer Philosophie zum Grunde liegt, von der man bei ihrer hoͤchsten Evidenz mit niemanden sprechen darf und kann — stammt keinesweges aus der Kantischen Philosophie. Dieser zu Folge ist das (wirkliche) Daseyn eine Modalitaͤt die das Verhaͤltniß des reellen Objekts (der Anschauung) zum Subjekt ausdruͤckt. Denkt man also alle Anschauungen weg, so wird dadurch auch ihr Daseyn weggedacht. Versteht aber Herr Obereit das blos logische Daseyn (das Setzen eines Praͤdikats), so gehoͤrt dieser Satz nicht blos der Kantischen, sondern einer jeden Philosophie uͤberhaupt. S. M.
*) Hierin hat auch H. Obereit vollkommen Recht. Aber kann er das Kantische Moralprinzip durchs Selbstbeobachten bestaͤtigen? Jch glaube schwerlich. Je mehr er (oder irgend ein andrer) sich selbst beobachten, und sich zu den Prinzipien seiner Handlungen auf dem Wege der Jnduktion naͤhern wird, desto mehr wird er sich von dem Kantischen Moralprinzip entfernen, indem er nach einer genauen psychologischen Entwickelung finden wird, daß, so entfernt von allem (materiellen) Jnteresse diese anfangs zu seyn scheinen, sie dennoch sich darin aufloͤsen lassen; folglich kann er nicht durch das Selbstbeobachten, sondern nur durchs Selbsttaͤuschen und eine Art des Machtspruchs dazu gelangen. S. M.
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[112/0112] alles in allem begrif, wie in der hoͤchsten Rechtsregel: Suum cuique! die schon im Kantischen Satz des Widerspruchs: Keinem Ding kommt was Widersprechendes zu, am weitesten begriffen ist, realer im Sellischen: Das Daseyn, und was zum Daseyn gehoͤrt, kann unmoͤglich nicht da seyn.*) So stimmte ihn Kants Kritik der Urtheilskraft zuerst ganz und gar zum pragmatischen Beobachter, auch alles Spekulativen, uͤberall um. Denn auf Selbstdenken allein, oder blos Spekuliren, haͤlt er außer dem Nothwendigen eben nicht viel, aber auf Selbstbeobachten, bis auf den Grund, unendlich viel.*) Das war eine ganze Revolu- *) Dieser Satz, der einer Philosophie zum Grunde liegt, von der man bei ihrer hoͤchsten Evidenz mit niemanden sprechen darf und kann — stammt keinesweges aus der Kantischen Philosophie. Dieser zu Folge ist das (wirkliche) Daseyn eine Modalitaͤt die das Verhaͤltniß des reellen Objekts (der Anschauung) zum Subjekt ausdruͤckt. Denkt man also alle Anschauungen weg, so wird dadurch auch ihr Daseyn weggedacht. Versteht aber Herr Obereit das blos logische Daseyn (das Setzen eines Praͤdikats), so gehoͤrt dieser Satz nicht blos der Kantischen, sondern einer jeden Philosophie uͤberhaupt. S. M. *) Hierin hat auch H. Obereit vollkommen Recht. Aber kann er das Kantische Moralprinzip durchs Selbstbeobachten bestaͤtigen? Jch glaube schwerlich. Je mehr er (oder irgend ein andrer) sich selbst beobachten, und sich zu den Prinzipien seiner Handlungen auf dem Wege der Jnduktion naͤhern wird, desto mehr wird er sich von dem Kantischen Moralprinzip entfernen, indem er nach einer genauen psychologischen Entwickelung finden wird, daß, so entfernt von allem (materiellen) Jnteresse diese anfangs zu seyn scheinen, sie dennoch sich darin aufloͤsen lassen; folglich kann er nicht durch das Selbstbeobachten, sondern nur durchs Selbsttaͤuschen und eine Art des Machtspruchs dazu gelangen. S. M.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/112>, abgerufen am 24.11.2024.