Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


man den Anfang der unsrigen betrachtet, die Erwartung ähnlicher Fälle, so haben sie die gar schön. Daß sie aber auf diesen guten Anfang nicht weiter hinausbauen können, eben so wenig als der übrigen Gefühlsarten, das kommt ganz anders wo her. Mit einem Worte, an der Jmagination scheint es ihnen zu fehlen."

"Das ist nun der gewöhnlichen Meinung der Pneumatiker nicht gemäß, die aus den Träumen, welche man an Thieren bemerkt, ihre Jmagination genugsam bewiesen glauben. Aber kann die nicht das Gedächtniß allein schon hinlänglich gewähren? Die Jmagination nimmt aus allem, also auch aus dem Gedächtniß ihre Zusammenstellungen, aber ihr Geschäft ist ganz ein anders. Erinnerungen braucht sie auch. Thut es doch die Vernunft, der Witz, der Scharfsinn -- haben die deswegen keine andere Stütze oder Ressource als das Gedächtniß? Das Wesentliche derjenigen Gefühlart, die wir Einbildungskraft nennen, besteht in dem Vermögen, nicht nur Würklichkeiten aus dem jetzigen oder ehemaligen Bereich zusammenzustellen und vorzuführen, sondern auch bloße Möglichkeiten. Aber noch nicht genug, selbst Unmöglichkeiten oder das Wunderbare zu haschen, sie mit jenen allen zu vergleichen, ihre Konvenienz oder Diskonvenienz, wie weit sie geht oder nicht geht, zu fühlen, sich daraus die Wahrscheinlichkeit zu ziehn, und die Unwahrscheinlichkeit


man den Anfang der unsrigen betrachtet, die Erwartung aͤhnlicher Faͤlle, so haben sie die gar schoͤn. Daß sie aber auf diesen guten Anfang nicht weiter hinausbauen koͤnnen, eben so wenig als der uͤbrigen Gefuͤhlsarten, das kommt ganz anders wo her. Mit einem Worte, an der Jmagination scheint es ihnen zu fehlen.«

»Das ist nun der gewoͤhnlichen Meinung der Pneumatiker nicht gemaͤß, die aus den Traͤumen, welche man an Thieren bemerkt, ihre Jmagination genugsam bewiesen glauben. Aber kann die nicht das Gedaͤchtniß allein schon hinlaͤnglich gewaͤhren? Die Jmagination nimmt aus allem, also auch aus dem Gedaͤchtniß ihre Zusammenstellungen, aber ihr Geschaͤft ist ganz ein anders. Erinnerungen braucht sie auch. Thut es doch die Vernunft, der Witz, der Scharfsinn — haben die deswegen keine andere Stuͤtze oder Ressource als das Gedaͤchtniß? Das Wesentliche derjenigen Gefuͤhlart, die wir Einbildungskraft nennen, besteht in dem Vermoͤgen, nicht nur Wuͤrklichkeiten aus dem jetzigen oder ehemaligen Bereich zusammenzustellen und vorzufuͤhren, sondern auch bloße Moͤglichkeiten. Aber noch nicht genug, selbst Unmoͤglichkeiten oder das Wunderbare zu haschen, sie mit jenen allen zu vergleichen, ihre Konvenienz oder Diskonvenienz, wie weit sie geht oder nicht geht, zu fuͤhlen, sich daraus die Wahrscheinlichkeit zu ziehn, und die Unwahrscheinlichkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0097" n="95"/><lb/>
man den Anfang der                         unsrigen betrachtet, die Erwartung a&#x0364;hnlicher Fa&#x0364;lle, so haben sie die gar                         scho&#x0364;n. Daß sie aber auf diesen guten Anfang nicht weiter hinausbauen ko&#x0364;nnen,                         eben so wenig als der u&#x0364;brigen Gefu&#x0364;hlsarten, das kommt ganz anders wo her.                         Mit einem Worte, <hi rendition="#b">an der </hi> <hi rendition="#i">Jmagination</hi> <hi rendition="#b">scheint es ihnen zu fehlen.«</hi></p>
            <p>»Das ist nun der gewo&#x0364;hnlichen Meinung der Pneumatiker nicht gema&#x0364;ß, die aus                         den Tra&#x0364;umen, welche man an Thieren bemerkt, ihre Jmagination genugsam                         bewiesen glauben. Aber kann die nicht das Geda&#x0364;chtniß allein schon                         hinla&#x0364;nglich gewa&#x0364;hren? Die Jmagination nimmt aus allem, also auch aus dem                         Geda&#x0364;chtniß ihre Zusammenstellungen, aber ihr Gescha&#x0364;ft ist ganz ein anders.                         Erinnerungen braucht sie auch. Thut es doch die Vernunft, der Witz, der                         Scharfsinn &#x2014; haben die deswegen keine andere Stu&#x0364;tze oder Ressource als das                         Geda&#x0364;chtniß? Das Wesentliche derjenigen Gefu&#x0364;hlart, die wir Einbildungskraft                         nennen, besteht in dem Vermo&#x0364;gen, nicht nur <hi rendition="#b">Wu&#x0364;rklichkeiten</hi> aus dem jetzigen oder ehemaligen Bereich                         zusammenzustellen und vorzufu&#x0364;hren, sondern auch bloße <hi rendition="#b">Mo&#x0364;glichkeiten.</hi> Aber noch nicht genug, selbst <hi rendition="#b">Unmo&#x0364;glichkeiten</hi> oder das Wunderbare zu haschen, sie mit jenen                         allen zu vergleichen, ihre Konvenienz oder Diskonvenienz, wie weit sie geht                         oder nicht geht, zu fu&#x0364;hlen, sich daraus die Wahrscheinlichkeit zu ziehn, und                         die Unwahrscheinlichkeit<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0097] man den Anfang der unsrigen betrachtet, die Erwartung aͤhnlicher Faͤlle, so haben sie die gar schoͤn. Daß sie aber auf diesen guten Anfang nicht weiter hinausbauen koͤnnen, eben so wenig als der uͤbrigen Gefuͤhlsarten, das kommt ganz anders wo her. Mit einem Worte, an der Jmagination scheint es ihnen zu fehlen.« »Das ist nun der gewoͤhnlichen Meinung der Pneumatiker nicht gemaͤß, die aus den Traͤumen, welche man an Thieren bemerkt, ihre Jmagination genugsam bewiesen glauben. Aber kann die nicht das Gedaͤchtniß allein schon hinlaͤnglich gewaͤhren? Die Jmagination nimmt aus allem, also auch aus dem Gedaͤchtniß ihre Zusammenstellungen, aber ihr Geschaͤft ist ganz ein anders. Erinnerungen braucht sie auch. Thut es doch die Vernunft, der Witz, der Scharfsinn — haben die deswegen keine andere Stuͤtze oder Ressource als das Gedaͤchtniß? Das Wesentliche derjenigen Gefuͤhlart, die wir Einbildungskraft nennen, besteht in dem Vermoͤgen, nicht nur Wuͤrklichkeiten aus dem jetzigen oder ehemaligen Bereich zusammenzustellen und vorzufuͤhren, sondern auch bloße Moͤglichkeiten. Aber noch nicht genug, selbst Unmoͤglichkeiten oder das Wunderbare zu haschen, sie mit jenen allen zu vergleichen, ihre Konvenienz oder Diskonvenienz, wie weit sie geht oder nicht geht, zu fuͤhlen, sich daraus die Wahrscheinlichkeit zu ziehn, und die Unwahrscheinlichkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/97
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/97>, abgerufen am 28.04.2024.