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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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stand verletzt; und N. auf den modigen Zuschnitt und Farbe seines Kleides seine ganze Aufmerksamkeit wendet, den ganzen Vormittag mit seinem Anzuge, Frisur, und sich im Spiegel zu begucken zubringt, und so ausgeschmückt, mit einer Ladung nouvelles des jours befrachtet, in großen Gesellschaften erscheint, so werden freilich diese jenen ungefähr wie die Abderitten den Demokrit, für seelenkrank und diesen für gesund ausgeben.

Der wahre Seelenarzt aber wird, gleich einem Hippokrates, hierinnen ganz anders urtheilen. Er bemerkt an jenem einen höhern Grad der Seelenwürksamkeit, als an diesem, sowohl in Ansehung der Mannigfaltigkeit, als der Einheit (worin die eigentliche Seelenwürkung besteht), wodurch nicht nur dieses Mannigfaltige in systematischer Ordnung zu einem Ganzen der Erkenntniß verknüpft und auf einmal übersehn wird, sondern welches auch Grund zu neuer Erkenntniß ist, welches aber bei diesem nicht der Fall ist. Bei jenem ist die Associationsart objektiv nothwendig (nach der innern Verknüpfung von Grund und Folge, Ursache und Würkung) und subjektiv freiwillig. Bei diesem hingegen ist sie objektiv zufällig, und subjektiv mechanisch.

Wird aber die Summe der Seelenwürkungen dadurch vermindert, ist irgend eine Associationsart so mächtig geworden, daß sie keine andere mehr zuläßt, oder sind verschiedene Associationsarten sich


stand verletzt; und N. auf den modigen Zuschnitt und Farbe seines Kleides seine ganze Aufmerksamkeit wendet, den ganzen Vormittag mit seinem Anzuge, Frisur, und sich im Spiegel zu begucken zubringt, und so ausgeschmuͤckt, mit einer Ladung nouvelles des jours befrachtet, in großen Gesellschaften erscheint, so werden freilich diese jenen ungefaͤhr wie die Abderitten den Demokrit, fuͤr seelenkrank und diesen fuͤr gesund ausgeben.

Der wahre Seelenarzt aber wird, gleich einem Hippokrates, hierinnen ganz anders urtheilen. Er bemerkt an jenem einen hoͤhern Grad der Seelenwuͤrksamkeit, als an diesem, sowohl in Ansehung der Mannigfaltigkeit, als der Einheit (worin die eigentliche Seelenwuͤrkung besteht), wodurch nicht nur dieses Mannigfaltige in systematischer Ordnung zu einem Ganzen der Erkenntniß verknuͤpft und auf einmal uͤbersehn wird, sondern welches auch Grund zu neuer Erkenntniß ist, welches aber bei diesem nicht der Fall ist. Bei jenem ist die Associationsart objektiv nothwendig (nach der innern Verknuͤpfung von Grund und Folge, Ursache und Wuͤrkung) und subjektiv freiwillig. Bei diesem hingegen ist sie objektiv zufaͤllig, und subjektiv mechanisch.

Wird aber die Summe der Seelenwuͤrkungen dadurch vermindert, ist irgend eine Associationsart so maͤchtig geworden, daß sie keine andere mehr zulaͤßt, oder sind verschiedene Associationsarten sich

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[18/0020] stand verletzt; und N. auf den modigen Zuschnitt und Farbe seines Kleides seine ganze Aufmerksamkeit wendet, den ganzen Vormittag mit seinem Anzuge, Frisur, und sich im Spiegel zu begucken zubringt, und so ausgeschmuͤckt, mit einer Ladung nouvelles des jours befrachtet, in großen Gesellschaften erscheint, so werden freilich diese jenen ungefaͤhr wie die Abderitten den Demokrit, fuͤr seelenkrank und diesen fuͤr gesund ausgeben. Der wahre Seelenarzt aber wird, gleich einem Hippokrates, hierinnen ganz anders urtheilen. Er bemerkt an jenem einen hoͤhern Grad der Seelenwuͤrksamkeit, als an diesem, sowohl in Ansehung der Mannigfaltigkeit, als der Einheit (worin die eigentliche Seelenwuͤrkung besteht), wodurch nicht nur dieses Mannigfaltige in systematischer Ordnung zu einem Ganzen der Erkenntniß verknuͤpft und auf einmal uͤbersehn wird, sondern welches auch Grund zu neuer Erkenntniß ist, welches aber bei diesem nicht der Fall ist. Bei jenem ist die Associationsart objektiv nothwendig (nach der innern Verknuͤpfung von Grund und Folge, Ursache und Wuͤrkung) und subjektiv freiwillig. Bei diesem hingegen ist sie objektiv zufaͤllig, und subjektiv mechanisch. Wird aber die Summe der Seelenwuͤrkungen dadurch vermindert, ist irgend eine Associationsart so maͤchtig geworden, daß sie keine andere mehr zulaͤßt, oder sind verschiedene Associationsarten sich

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/20>, abgerufen am 25.04.2024.