Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Seelenheilkunde erfordert zwei Stücke. 1) Richtige Beurtheilung der Krankheit. 2) Kenntniß der Kräfte der Arzeneimittel. Das Erstere besteht in der Beurtheilung einer jeden Seelenkrankheit, ob sie blos Schwäche eines Seelenvermögens, oder zu große Stärke und Ueberspannung desselben zum Grunde hat? Eine angebohrne Schwäche, z.B. Dummheit, Jndolenz, Unfähigkeit zu allen demjenigen, was eine mäßige Anstrengung der Seelenkräfte erfordert, kann ohnmöglich durch die Seelenarzeneikunde gehoben werden, und ist also kein Gegenstand derselben. Jst aber diese Schwäche nicht angebohren, ist sie keine Negation eines Seelenvermögens selbst, sondern blos eine Privation seiner Würkung, so ist sie allerdings ein Gegenstand der Seelenarzeneikunde, und kann durch dieselbe gehoben werden.

Entsteht diese Privation dadurch, daß ein anderes diesem entgegengesetztes Seelenvermögen die Oberhand erhalten hat, so daß es die Würkung des gegebenen vernichtet, so kömmt es hier auf die Untersuchung an, ob die Summe der Seelenwürkungen überhaupt dadurch vermehrt oder vermindert werde?

Jm ersten Falle ist es blos eine Scheinprivation und für keine Seelenkrankheit zu halten. Wenn ein Newton aus Zerstreuung (eher sollte dieses Sammlung heißen) bei seinem Nachdenken über das Weltsystem zuweilen den äußern Wohl-


Die Seelenheilkunde erfordert zwei Stuͤcke. 1) Richtige Beurtheilung der Krankheit. 2) Kenntniß der Kraͤfte der Arzeneimittel. Das Erstere besteht in der Beurtheilung einer jeden Seelenkrankheit, ob sie blos Schwaͤche eines Seelenvermoͤgens, oder zu große Staͤrke und Ueberspannung desselben zum Grunde hat? Eine angebohrne Schwaͤche, z.B. Dummheit, Jndolenz, Unfaͤhigkeit zu allen demjenigen, was eine maͤßige Anstrengung der Seelenkraͤfte erfordert, kann ohnmoͤglich durch die Seelenarzeneikunde gehoben werden, und ist also kein Gegenstand derselben. Jst aber diese Schwaͤche nicht angebohren, ist sie keine Negation eines Seelenvermoͤgens selbst, sondern blos eine Privation seiner Wuͤrkung, so ist sie allerdings ein Gegenstand der Seelenarzeneikunde, und kann durch dieselbe gehoben werden.

Entsteht diese Privation dadurch, daß ein anderes diesem entgegengesetztes Seelenvermoͤgen die Oberhand erhalten hat, so daß es die Wuͤrkung des gegebenen vernichtet, so koͤmmt es hier auf die Untersuchung an, ob die Summe der Seelenwuͤrkungen uͤberhaupt dadurch vermehrt oder vermindert werde?

Jm ersten Falle ist es blos eine Scheinprivation und fuͤr keine Seelenkrankheit zu halten. Wenn ein Newton aus Zerstreuung (eher sollte dieses Sammlung heißen) bei seinem Nachdenken uͤber das Weltsystem zuweilen den aͤußern Wohl-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0019" n="17"/><lb/>
            <p>Die Seelenheilkunde erfordert zwei Stu&#x0364;cke. 1) Richtige Beurtheilung der                         Krankheit. 2) Kenntniß der Kra&#x0364;fte der Arzeneimittel. Das Erstere besteht in                         der Beurtheilung einer jeden Seelenkrankheit, ob sie blos <hi rendition="#b">Schwa&#x0364;che </hi> eines Seelenvermo&#x0364;gens, oder <hi rendition="#b">zu große                             Sta&#x0364;rke und Ueberspannung</hi> desselben zum Grunde hat? Eine                         angebohrne Schwa&#x0364;che, z.B. Dummheit, Jndolenz, Unfa&#x0364;higkeit zu allen                         demjenigen, was eine ma&#x0364;ßige Anstrengung der Seelenkra&#x0364;fte erfordert, kann                         ohnmo&#x0364;glich durch die Seelenarzeneikunde gehoben werden, und ist also kein                         Gegenstand derselben. Jst aber diese Schwa&#x0364;che nicht angebohren, ist sie                         keine <hi rendition="#b">Negation</hi> eines Seelenvermo&#x0364;gens selbst,                         sondern blos eine <hi rendition="#b">Privation</hi> seiner Wu&#x0364;rkung, so ist                         sie allerdings ein Gegenstand der Seelenarzeneikunde, und kann durch                         dieselbe gehoben werden.</p>
            <p>Entsteht diese Privation dadurch, daß ein anderes diesem entgegengesetztes                         Seelenvermo&#x0364;gen die Oberhand erhalten hat, so daß es die Wu&#x0364;rkung des                         gegebenen vernichtet, so ko&#x0364;mmt es hier auf die Untersuchung an, ob die Summe                         der Seelenwu&#x0364;rkungen u&#x0364;berhaupt dadurch vermehrt oder vermindert werde?</p>
            <p>Jm ersten Falle ist es blos eine <hi rendition="#b">Scheinprivation </hi> und fu&#x0364;r keine Seelenkrankheit zu halten. Wenn ein <hi rendition="#b">Newton                         </hi> aus <hi rendition="#b">Zerstreuung</hi> (eher sollte dieses <hi rendition="#b">Sammlung </hi> heißen) bei seinem Nachdenken u&#x0364;ber das                         Weltsystem zuweilen den a&#x0364;ußern Wohl-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0019] Die Seelenheilkunde erfordert zwei Stuͤcke. 1) Richtige Beurtheilung der Krankheit. 2) Kenntniß der Kraͤfte der Arzeneimittel. Das Erstere besteht in der Beurtheilung einer jeden Seelenkrankheit, ob sie blos Schwaͤche eines Seelenvermoͤgens, oder zu große Staͤrke und Ueberspannung desselben zum Grunde hat? Eine angebohrne Schwaͤche, z.B. Dummheit, Jndolenz, Unfaͤhigkeit zu allen demjenigen, was eine maͤßige Anstrengung der Seelenkraͤfte erfordert, kann ohnmoͤglich durch die Seelenarzeneikunde gehoben werden, und ist also kein Gegenstand derselben. Jst aber diese Schwaͤche nicht angebohren, ist sie keine Negation eines Seelenvermoͤgens selbst, sondern blos eine Privation seiner Wuͤrkung, so ist sie allerdings ein Gegenstand der Seelenarzeneikunde, und kann durch dieselbe gehoben werden. Entsteht diese Privation dadurch, daß ein anderes diesem entgegengesetztes Seelenvermoͤgen die Oberhand erhalten hat, so daß es die Wuͤrkung des gegebenen vernichtet, so koͤmmt es hier auf die Untersuchung an, ob die Summe der Seelenwuͤrkungen uͤberhaupt dadurch vermehrt oder vermindert werde? Jm ersten Falle ist es blos eine Scheinprivation und fuͤr keine Seelenkrankheit zu halten. Wenn ein Newton aus Zerstreuung (eher sollte dieses Sammlung heißen) bei seinem Nachdenken uͤber das Weltsystem zuweilen den aͤußern Wohl-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/19
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/19>, abgerufen am 21.11.2024.