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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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sich blos mit Heilung dieser Krankheiten, indem sie an der Hebung jener verzweifelten. Und wie ich glaube, nicht ohne Grund. Denn was kann ein Psycholog, ein Moralist mit diesen machen? Hier hilft kein Ueberzeugen, kein Ueberreden. Man muß dergleichen Kranken der Fürsorge der gütigen Natur überlassen.

Die neuern Seelenärzte scheinen die älteste Methode aufs neue hervorgesucht zu haben. Nehmlich die Seelenkrankheiten durch Locos Communes, d.h. gleichsam durch Worte und Zauberformeln zu kuriren, wie z.B. die Tugend macht glückseelig; sie ist ihre eigne Belohnung und dergleichen sind; ohne sich darüber zu erklären, was sie doch unter dieser Tugend verstehn, und noch weniger die Wahrheit ihrer Lehre zu beweisen, und ihre Ausübung möglich zu machen. Den Ehrgeizigen kuriren sie mit diesen Worten: die Ehre ist eitel. Dem Geizhals sagen sie: der Geiz ist ein schändliches Laster, und dergleichen Sprüchelchen mehr, wodurch nie jemand besser geworden ist.

Jch komme nun zu der Vergleichung zwischen der Seelen- und Körperarzeneikunde.

1) Der Physiologie in der Körperarzeneikunde kann die Psychologie in der Seelenarzeneikunde entsprechen. Aber die Physiologie ist die Lehre von den körperlichen Verrichtungen im gesunden Zustande. Der gesunde Zustand des Körpers ist derjenige, worin die, aus seiner besondern Orga-


sich blos mit Heilung dieser Krankheiten, indem sie an der Hebung jener verzweifelten. Und wie ich glaube, nicht ohne Grund. Denn was kann ein Psycholog, ein Moralist mit diesen machen? Hier hilft kein Ueberzeugen, kein Ueberreden. Man muß dergleichen Kranken der Fuͤrsorge der guͤtigen Natur uͤberlassen.

Die neuern Seelenaͤrzte scheinen die aͤlteste Methode aufs neue hervorgesucht zu haben. Nehmlich die Seelenkrankheiten durch Locos Communes, d.h. gleichsam durch Worte und Zauberformeln zu kuriren, wie z.B. die Tugend macht gluͤckseelig; sie ist ihre eigne Belohnung und dergleichen sind; ohne sich daruͤber zu erklaͤren, was sie doch unter dieser Tugend verstehn, und noch weniger die Wahrheit ihrer Lehre zu beweisen, und ihre Ausuͤbung moͤglich zu machen. Den Ehrgeizigen kuriren sie mit diesen Worten: die Ehre ist eitel. Dem Geizhals sagen sie: der Geiz ist ein schaͤndliches Laster, und dergleichen Spruͤchelchen mehr, wodurch nie jemand besser geworden ist.

Jch komme nun zu der Vergleichung zwischen der Seelen- und Koͤrperarzeneikunde.

1) Der Physiologie in der Koͤrperarzeneikunde kann die Psychologie in der Seelenarzeneikunde entsprechen. Aber die Physiologie ist die Lehre von den koͤrperlichen Verrichtungen im gesunden Zustande. Der gesunde Zustand des Koͤrpers ist derjenige, worin die, aus seiner besondern Orga-

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[11/0013] sich blos mit Heilung dieser Krankheiten, indem sie an der Hebung jener verzweifelten. Und wie ich glaube, nicht ohne Grund. Denn was kann ein Psycholog, ein Moralist mit diesen machen? Hier hilft kein Ueberzeugen, kein Ueberreden. Man muß dergleichen Kranken der Fuͤrsorge der guͤtigen Natur uͤberlassen. Die neuern Seelenaͤrzte scheinen die aͤlteste Methode aufs neue hervorgesucht zu haben. Nehmlich die Seelenkrankheiten durch Locos Communes, d.h. gleichsam durch Worte und Zauberformeln zu kuriren, wie z.B. die Tugend macht gluͤckseelig; sie ist ihre eigne Belohnung und dergleichen sind; ohne sich daruͤber zu erklaͤren, was sie doch unter dieser Tugend verstehn, und noch weniger die Wahrheit ihrer Lehre zu beweisen, und ihre Ausuͤbung moͤglich zu machen. Den Ehrgeizigen kuriren sie mit diesen Worten: die Ehre ist eitel. Dem Geizhals sagen sie: der Geiz ist ein schaͤndliches Laster, und dergleichen Spruͤchelchen mehr, wodurch nie jemand besser geworden ist. Jch komme nun zu der Vergleichung zwischen der Seelen- und Koͤrperarzeneikunde. 1) Der Physiologie in der Koͤrperarzeneikunde kann die Psychologie in der Seelenarzeneikunde entsprechen. Aber die Physiologie ist die Lehre von den koͤrperlichen Verrichtungen im gesunden Zustande. Der gesunde Zustand des Koͤrpers ist derjenige, worin die, aus seiner besondern Orga-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/13>, abgerufen am 18.04.2024.