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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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diese Jdeen am häufigsten in ihm vorgekommen sind, entweder passive, da sie von andern wiederhohlt aufgeregt worden, oder aktive, da die Seele, weil sie sie gleich in der ersten Jugend gedacht, selbst, sie oft erneuert. Und, ist dieses nun die Ursache; so ist ja deutlich, daß jeder eine solche Lieblingsidee habe; denn jeder Mensch lebt ja in einem gewissen bestimmten Kreise; und hat auch seine besondre Erziehung genossen; Laßt uns also vom offenbar Närrischen zu dem vernünftigsten Menschen herabsteigen; werden wir einen andern Unterschied zwischen beiden als den Grad finden? und können wir demnach nicht von dem Vernünftigen zum Narren in unmerklicher Stufenfolge fortsteigen? und ist also der Satz, daß jeder sein Gran Narrheit habe, nicht wahr und allgemein?*)

Salomon Maimon.


*) Der Verfasser unterscheidet zwei Hauptgattungen von Narren. Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle äußern. Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdrückt, alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur eine einzige falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde alle Dinge verkehrt ansehn; wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhältniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) können also immer in der Vorstellung unverändert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhältniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig verändert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Körper, und dennoch fürchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden könnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhältniß haben. So wie ohngefähr bei dem Gelbsüchtigen die Veränderung der Beschaffenheit der Augensäfte, die Veränderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht. So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Körper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkürlich angenommen, ohne bewiesen zu werden. Ferner sagt der V. "Der Witz ist u.s.w. -- ungezwungen wird man alle Seelenkräfte auf ihn zurückbringen können." Hier kömmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewöhnlichen Erklärung, das Vermögen, die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen, so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermögen sey, worauf alle übrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf Aehnlichkeit, sondern kann auch auf Koexistenz, und Dependenz (von Grund und Folge) beruhen. Wir können daher allerdings gehabte, nunmehr schlummernde Jdeen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwärtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich hängt das Gedächtniß nicht nothwendig vom Witze ab. Versteht er aber unter Witz das Associationsvermögen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so kömmt es hier auf den Begriff der Verschiedenheit an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als Theilentgegensetzung, so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung in eben demselben Subjekte gedacht werden muß; folglich müssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, ähnlich seyn. Jst aber bei ihm Verschiedenheit eine besondere Form, so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas ähnlich zu seyn, verschieden. Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen Jdeen und Gedanken sagt, daß nehmlich jene einander erzeugen, folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfündig als reel. Wenn blos die Vorstellung des Mehr zur Vergesellschaftung verschiedener Jdeen hinreichend ist, so sind alle Jdeen ohne Unterschied gesellschaftliche Jdeen. -- Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese hängt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwärtige Empfindung begleitenden Jdee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Jdee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. --


diese Jdeen am haͤufigsten in ihm vorgekommen sind, entweder passive, da sie von andern wiederhohlt aufgeregt worden, oder aktive, da die Seele, weil sie sie gleich in der ersten Jugend gedacht, selbst, sie oft erneuert. Und, ist dieses nun die Ursache; so ist ja deutlich, daß jeder eine solche Lieblingsidee habe; denn jeder Mensch lebt ja in einem gewissen bestimmten Kreise; und hat auch seine besondre Erziehung genossen; Laßt uns also vom offenbar Naͤrrischen zu dem vernuͤnftigsten Menschen herabsteigen; werden wir einen andern Unterschied zwischen beiden als den Grad finden? und koͤnnen wir demnach nicht von dem Vernuͤnftigen zum Narren in unmerklicher Stufenfolge fortsteigen? und ist also der Satz, daß jeder sein Gran Narrheit habe, nicht wahr und allgemein?*)

Salomon Maimon.


*) Der Verfasser unterscheidet zwei Hauptgattungen von Narren. Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle aͤußern. Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdruͤckt, alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur eine einzige falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde alle Dinge verkehrt ansehn; wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhaͤltniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) koͤnnen also immer in der Vorstellung unveraͤndert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhaͤltniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig veraͤndert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Koͤrper, und dennoch fuͤrchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden koͤnnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhaͤltniß haben. So wie ohngefaͤhr bei dem Gelbsuͤchtigen die Veraͤnderung der Beschaffenheit der Augensaͤfte, die Veraͤnderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht. So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Koͤrper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkuͤrlich angenommen, ohne bewiesen zu werden. Ferner sagt der V. »Der Witz ist u.s.w. — ungezwungen wird man alle Seelenkraͤfte auf ihn zuruͤckbringen koͤnnen.« Hier koͤmmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewoͤhnlichen Erklaͤrung, das Vermoͤgen, die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen, so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermoͤgen sey, worauf alle uͤbrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf Aehnlichkeit, sondern kann auch auf Koexistenz, und Dependenz (von Grund und Folge) beruhen. Wir koͤnnen daher allerdings gehabte, nunmehr schlummernde Jdeen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwaͤrtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich haͤngt das Gedaͤchtniß nicht nothwendig vom Witze ab. Versteht er aber unter Witz das Associationsvermoͤgen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so koͤmmt es hier auf den Begriff der Verschiedenheit an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als Theilentgegensetzung, so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung in eben demselben Subjekte gedacht werden muß; folglich muͤssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, aͤhnlich seyn. Jst aber bei ihm Verschiedenheit eine besondere Form, so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas aͤhnlich zu seyn, verschieden. Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen Jdeen und Gedanken sagt, daß nehmlich jene einander erzeugen, folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfuͤndig als reel. Wenn blos die Vorstellung des Mehr zur Vergesellschaftung verschiedener Jdeen hinreichend ist, so sind alle Jdeen ohne Unterschied gesellschaftliche Jdeen. — Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese haͤngt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwaͤrtige Empfindung begleitenden Jdee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Jdee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. —
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diese Jdeen am ha&#x0364;ufigsten in ihm vorgekommen sind, entweder                         passive, da sie von andern wiederhohlt aufgeregt worden, oder aktive, da die                         Seele, weil sie sie gleich in der ersten Jugend gedacht, selbst, sie oft                         erneuert. Und, ist dieses nun die Ursache; so ist ja deutlich, daß jeder                         eine solche Lieblingsidee habe; denn jeder Mensch lebt ja in einem gewissen                         bestimmten Kreise; und hat auch seine besondre Erziehung genossen; Laßt uns                         also vom offenbar Na&#x0364;rrischen zu dem vernu&#x0364;nftigsten Menschen herabsteigen;                         werden wir einen andern Unterschied zwischen beiden als den Grad finden? und                         ko&#x0364;nnen wir demnach nicht von dem Vernu&#x0364;nftigen zum Narren in unmerklicher                         Stufenfolge fortsteigen? und ist also der Satz, daß jeder sein Gran Narrheit                         habe, nicht wahr und allgemein?*)<note place="foot"><p>*) Der Verfasser                                 unterscheidet <hi rendition="#b">zwei Hauptgattungen von                                     Narren.</hi> Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die <hi rendition="#b">alle Dinge</hi> von einer verkehrten Seite                                 ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur <hi rendition="#b">in einem gewissen Falle</hi> a&#x0364;ußern.</p><p>Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung                                 finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdru&#x0364;ckt, <hi rendition="#b">alle Dinge von einer verkehrten Seite                                     ansehn,</hi> oder von allen Dingen falsche Vorstellungen                                 haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h.                                 solche, die nur <hi rendition="#b">eine einzige</hi> falsche                                 Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde <hi rendition="#b">alle Dinge verkehrt ansehn;</hi> wenn nehmlich                                 diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen                                 Dingen im Verha&#x0364;ltniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) ko&#x0364;nnen                                 also immer in der Vorstellung unvera&#x0364;ndert bleiben, so wird doch                                 dadurch ihr Verha&#x0364;ltniß zu dem Dinge wovon man eine falsche                                 Vorstellung hat, nothwendig vera&#x0364;ndert. Wie wenn z.B. jemand sich                                 einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem                                 einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Ko&#x0364;rper,                                 und dennoch fu&#x0364;rchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als                                 wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden ko&#x0364;nnte, sondern                                 auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf                                 dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle                                 diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verha&#x0364;ltniß haben. So wie                                 ohngefa&#x0364;hr bei dem Gelbsu&#x0364;chtigen die Vera&#x0364;nderung der Beschaffenheit                                 der Augensa&#x0364;fte, die Vera&#x0364;nderung der Farbe aller Dinge nach sich                                 zieht.</p><p>So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten                                 Gattung im Ko&#x0364;rper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt?                                 dieses wird von ihm ganz willku&#x0364;rlich angenommen, ohne bewiesen zu                                 werden.</p><p>Ferner sagt der V. »Der Witz ist u.s.w. &#x2014; ungezwungen wird man alle                                 Seelenkra&#x0364;fte auf ihn zuru&#x0364;ckbringen ko&#x0364;nnen.« Hier ko&#x0364;mmt es darauf an,                                 zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er                                 darunter, nach der gewo&#x0364;hnlichen Erkla&#x0364;rung, das Vermo&#x0364;gen, <hi rendition="#b">die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen,</hi> so                                 kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermo&#x0364;gen                                 sey, worauf alle u&#x0364;brigen sich reduziren lassen. Association ist                                 freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association                                 beruht nicht einzig und allein auf <hi rendition="#b">Aehnlichkeit,</hi> sondern kann auch auf <hi rendition="#b">Koexistenz,</hi> und <hi rendition="#b">Dependenz</hi> (von                                 Grund und Folge) beruhen. 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Die Verbindung die Leibnitz                                 hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. &#x2014;</p></note></p>
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[120/0122] diese Jdeen am haͤufigsten in ihm vorgekommen sind, entweder passive, da sie von andern wiederhohlt aufgeregt worden, oder aktive, da die Seele, weil sie sie gleich in der ersten Jugend gedacht, selbst, sie oft erneuert. Und, ist dieses nun die Ursache; so ist ja deutlich, daß jeder eine solche Lieblingsidee habe; denn jeder Mensch lebt ja in einem gewissen bestimmten Kreise; und hat auch seine besondre Erziehung genossen; Laßt uns also vom offenbar Naͤrrischen zu dem vernuͤnftigsten Menschen herabsteigen; werden wir einen andern Unterschied zwischen beiden als den Grad finden? und koͤnnen wir demnach nicht von dem Vernuͤnftigen zum Narren in unmerklicher Stufenfolge fortsteigen? und ist also der Satz, daß jeder sein Gran Narrheit habe, nicht wahr und allgemein?*) Salomon Maimon. *) Der Verfasser unterscheidet zwei Hauptgattungen von Narren. Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle aͤußern. Jch glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdruͤckt, alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur eine einzige falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde alle Dinge verkehrt ansehn; wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhaͤltniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) koͤnnen also immer in der Vorstellung unveraͤndert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhaͤltniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig veraͤndert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Koͤrper, und dennoch fuͤrchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden koͤnnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhaͤltniß haben. So wie ohngefaͤhr bei dem Gelbsuͤchtigen die Veraͤnderung der Beschaffenheit der Augensaͤfte, die Veraͤnderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht. So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Koͤrper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkuͤrlich angenommen, ohne bewiesen zu werden. Ferner sagt der V. »Der Witz ist u.s.w. — ungezwungen wird man alle Seelenkraͤfte auf ihn zuruͤckbringen koͤnnen.« Hier koͤmmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewoͤhnlichen Erklaͤrung, das Vermoͤgen, die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen, so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermoͤgen sey, worauf alle uͤbrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf Aehnlichkeit, sondern kann auch auf Koexistenz, und Dependenz (von Grund und Folge) beruhen. Wir koͤnnen daher allerdings gehabte, nunmehr schlummernde Jdeen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwaͤrtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich haͤngt das Gedaͤchtniß nicht nothwendig vom Witze ab. Versteht er aber unter Witz das Associationsvermoͤgen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so koͤmmt es hier auf den Begriff der Verschiedenheit an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als Theilentgegensetzung, so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung in eben demselben Subjekte gedacht werden muß; folglich muͤssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, aͤhnlich seyn. Jst aber bei ihm Verschiedenheit eine besondere Form, so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas aͤhnlich zu seyn, verschieden. Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen Jdeen und Gedanken sagt, daß nehmlich jene einander erzeugen, folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfuͤndig als reel. Wenn blos die Vorstellung des Mehr zur Vergesellschaftung verschiedener Jdeen hinreichend ist, so sind alle Jdeen ohne Unterschied gesellschaftliche Jdeen. — Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese haͤngt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwaͤrtige Empfindung begleitenden Jdee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Jdee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. —

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

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Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/122>, abgerufen am 03.05.2024.