Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


Gedanke von der Art ist, daß er entweder den jetzigen oder den künftigen Zustand der Seele bezeichnet, sey es einen glücklichen oder unglücklichen; so wird die Seele ihn ganz einzig, und hauptsächlich, und am häufigsten denken. Sie wird sich nicht begnügen, Aehnlichkeiten in andern Gedanken blos wahrzunehmen; sie wird auch, in jedem Gedanken Jdeen suchen die der Hauptidee dieses Lieblingsgedanken gleich sind, die Phantasie wird wieder das Jhrige dabei thun, und so wird sich eine Menge ähnlicher Jdeen aneinander ballen, und je größer diese Zahl wird, desto größer wird, verhältnißmäßig nach Maaßgabe dieser größern Zahl, die Menge neuer Gedanken seyn, die sich an die vorigen anweben; denn in jedem Gedanken werden außer der gleichen Hauptidee, noch immer Jdeen seyn, die der Hauptidee zwar ungleich, Jdeen aber gleich sind, die in andern neuen Gedanken vorhanden sind.

So wird der Hauptgedanke immer genährt. Und das ist der Zustand des Narren. Wer in dem Falle ist, daß ein und derselbe Gedanke immer vorspringt, der ist ein Narr.

Es frägt sich nun, woher ein Mensch gewisse Lieblingsideen habe. Gemeinhin liegt die Ursache davon in der Denkart derjenigen, mit denen er am häufigsten umgeht, in der herrschenden Denkart seiner Zeiten, in der Denkart der Schriftsteller, die er am häufigsten vielleicht gelesen, und hauptsächlich in der Erziehung, überhaupt also darin, daß gerade


Gedanke von der Art ist, daß er entweder den jetzigen oder den kuͤnftigen Zustand der Seele bezeichnet, sey es einen gluͤcklichen oder ungluͤcklichen; so wird die Seele ihn ganz einzig, und hauptsaͤchlich, und am haͤufigsten denken. Sie wird sich nicht begnuͤgen, Aehnlichkeiten in andern Gedanken blos wahrzunehmen; sie wird auch, in jedem Gedanken Jdeen suchen die der Hauptidee dieses Lieblingsgedanken gleich sind, die Phantasie wird wieder das Jhrige dabei thun, und so wird sich eine Menge aͤhnlicher Jdeen aneinander ballen, und je groͤßer diese Zahl wird, desto groͤßer wird, verhaͤltnißmaͤßig nach Maaßgabe dieser groͤßern Zahl, die Menge neuer Gedanken seyn, die sich an die vorigen anweben; denn in jedem Gedanken werden außer der gleichen Hauptidee, noch immer Jdeen seyn, die der Hauptidee zwar ungleich, Jdeen aber gleich sind, die in andern neuen Gedanken vorhanden sind.

So wird der Hauptgedanke immer genaͤhrt. Und das ist der Zustand des Narren. Wer in dem Falle ist, daß ein und derselbe Gedanke immer vorspringt, der ist ein Narr.

Es fraͤgt sich nun, woher ein Mensch gewisse Lieblingsideen habe. Gemeinhin liegt die Ursache davon in der Denkart derjenigen, mit denen er am haͤufigsten umgeht, in der herrschenden Denkart seiner Zeiten, in der Denkart der Schriftsteller, die er am haͤufigsten vielleicht gelesen, und hauptsaͤchlich in der Erziehung, uͤberhaupt also darin, daß gerade

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0121" n="119"/><lb/>
Gedanke von der Art ist, daß er entweder                         den jetzigen oder den ku&#x0364;nftigen Zustand der Seele bezeichnet, sey es einen                         glu&#x0364;cklichen oder unglu&#x0364;cklichen; so wird die Seele ihn ganz einzig, und                         hauptsa&#x0364;chlich, und am ha&#x0364;ufigsten denken. Sie wird sich nicht begnu&#x0364;gen,                         Aehnlichkeiten in andern Gedanken blos wahrzunehmen; sie wird auch, in jedem                         Gedanken Jdeen <hi rendition="#b">suchen</hi> die der Hauptidee dieses                         Lieblingsgedanken gleich sind, die Phantasie wird wieder das Jhrige dabei                         thun, und so wird sich eine Menge a&#x0364;hnlicher Jdeen aneinander ballen, und je                         gro&#x0364;ßer diese Zahl wird, desto gro&#x0364;ßer wird, verha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßig nach Maaßgabe                         dieser gro&#x0364;ßern Zahl, die Menge neuer Gedanken seyn, die sich an die vorigen                         anweben; denn in jedem Gedanken werden außer der gleichen Hauptidee, noch                         immer Jdeen seyn, die der Hauptidee zwar ungleich, Jdeen aber gleich sind,                         die in andern neuen Gedanken vorhanden sind.</p>
              <p>So wird der Hauptgedanke immer gena&#x0364;hrt. Und das ist der Zustand des Narren.                         Wer in dem Falle ist, daß ein und derselbe Gedanke immer vorspringt, der ist                         ein Narr.</p>
              <p>Es fra&#x0364;gt sich nun, woher ein Mensch gewisse Lieblingsideen habe. Gemeinhin                         liegt die Ursache davon in der Denkart derjenigen, mit denen er am                         ha&#x0364;ufigsten umgeht, in der herrschenden Denkart seiner Zeiten, in der Denkart                         der Schriftsteller, die er am ha&#x0364;ufigsten vielleicht gelesen, und                         hauptsa&#x0364;chlich in der Erziehung, u&#x0364;berhaupt also darin, daß gerade<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0121] Gedanke von der Art ist, daß er entweder den jetzigen oder den kuͤnftigen Zustand der Seele bezeichnet, sey es einen gluͤcklichen oder ungluͤcklichen; so wird die Seele ihn ganz einzig, und hauptsaͤchlich, und am haͤufigsten denken. Sie wird sich nicht begnuͤgen, Aehnlichkeiten in andern Gedanken blos wahrzunehmen; sie wird auch, in jedem Gedanken Jdeen suchen die der Hauptidee dieses Lieblingsgedanken gleich sind, die Phantasie wird wieder das Jhrige dabei thun, und so wird sich eine Menge aͤhnlicher Jdeen aneinander ballen, und je groͤßer diese Zahl wird, desto groͤßer wird, verhaͤltnißmaͤßig nach Maaßgabe dieser groͤßern Zahl, die Menge neuer Gedanken seyn, die sich an die vorigen anweben; denn in jedem Gedanken werden außer der gleichen Hauptidee, noch immer Jdeen seyn, die der Hauptidee zwar ungleich, Jdeen aber gleich sind, die in andern neuen Gedanken vorhanden sind. So wird der Hauptgedanke immer genaͤhrt. Und das ist der Zustand des Narren. Wer in dem Falle ist, daß ein und derselbe Gedanke immer vorspringt, der ist ein Narr. Es fraͤgt sich nun, woher ein Mensch gewisse Lieblingsideen habe. Gemeinhin liegt die Ursache davon in der Denkart derjenigen, mit denen er am haͤufigsten umgeht, in der herrschenden Denkart seiner Zeiten, in der Denkart der Schriftsteller, die er am haͤufigsten vielleicht gelesen, und hauptsaͤchlich in der Erziehung, uͤberhaupt also darin, daß gerade

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/121
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/121>, abgerufen am 22.11.2024.