Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


haben?
müssen wir nicht, um von Dingen dasjenige zu scheiden was ihre Verschiedenheiten ausmacht, vorher bemerkt haben was sie Aehnliches haben? Verschiedenheiten setzen ja schon Gleichheit voraus, sonst würden Dinge sich ja nicht auf einander beziehen lassen, würden ja nicht die Möglichkeit einschließen, Verschiedenheiten zwischen ihnen wahrzunehmen! und also setzt Wahrnehmung der Verschiedenheiten auch schon Wahrnehmung der Gleichheit voraus. -- Jst also der Witz sogar da thätig, wo es auf Wahrnehmung der Verschiedenheiten ankömmt; wird er es denn nicht da seyn, wo die Jdee der Aehnlichkeit die deutlichste ist?

Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch für Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Jdee die sich in uns drängt -- sie dringe so plötzlich ein als sie wolle -- wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? -- Der stärkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe ähnlicher ineinander gegründeter Jdeen geführt hat, ist von dieser Unähnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae, und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und


haben?
muͤssen wir nicht, um von Dingen dasjenige zu scheiden was ihre Verschiedenheiten ausmacht, vorher bemerkt haben was sie Aehnliches haben? Verschiedenheiten setzen ja schon Gleichheit voraus, sonst wuͤrden Dinge sich ja nicht auf einander beziehen lassen, wuͤrden ja nicht die Moͤglichkeit einschließen, Verschiedenheiten zwischen ihnen wahrzunehmen! und also setzt Wahrnehmung der Verschiedenheiten auch schon Wahrnehmung der Gleichheit voraus. — Jst also der Witz sogar da thaͤtig, wo es auf Wahrnehmung der Verschiedenheiten ankoͤmmt; wird er es denn nicht da seyn, wo die Jdee der Aehnlichkeit die deutlichste ist?

Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch fuͤr Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Jdee die sich in uns draͤngt — sie dringe so ploͤtzlich ein als sie wolle — wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? — Der staͤrkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe aͤhnlicher ineinander gegruͤndeter Jdeen gefuͤhrt hat, ist von dieser Unaͤhnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae, und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0117" n="115"/><lb/>
 haben?</hi> mu&#x0364;ssen wir nicht, um von Dingen dasjenige zu                         scheiden was ihre Verschiedenheiten ausmacht, vorher bemerkt haben was sie                         Aehnliches haben? Verschiedenheiten setzen ja schon Gleichheit voraus, sonst                         wu&#x0364;rden Dinge sich ja nicht auf einander beziehen lassen, wu&#x0364;rden ja nicht die                         Mo&#x0364;glichkeit einschließen, Verschiedenheiten <hi rendition="#b">zwischen                             ihnen</hi> wahrzunehmen! und also setzt Wahrnehmung der                         Verschiedenheiten auch schon Wahrnehmung der Gleichheit voraus. &#x2014; Jst also                         der Witz sogar da tha&#x0364;tig, wo es auf Wahrnehmung der Verschiedenheiten                         anko&#x0364;mmt; wird er es denn nicht da seyn, wo die Jdee der Aehnlichkeit die                         deutlichste ist?</p>
              <p>Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann                         noch fu&#x0364;r Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue                         fremde Jdee die sich in uns dra&#x0364;ngt &#x2014; sie dringe so plo&#x0364;tzlich ein als sie                         wolle &#x2014; wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor                         ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit                         dieser, anschließen? &#x2014; Der sta&#x0364;rkste Beweis den man wider die ununterbrochene                         Reihe a&#x0364;hnlicher ineinander gegru&#x0364;ndeter Jdeen gefu&#x0364;hrt hat, ist von dieser                         Una&#x0364;hnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die                         malerischen Verse lese: <hi rendition="#aq">Diffugere nives, redeunt iam                             gramina campis, arboribusque comae,</hi> und ich nun so ganz darin                         vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0117] haben? muͤssen wir nicht, um von Dingen dasjenige zu scheiden was ihre Verschiedenheiten ausmacht, vorher bemerkt haben was sie Aehnliches haben? Verschiedenheiten setzen ja schon Gleichheit voraus, sonst wuͤrden Dinge sich ja nicht auf einander beziehen lassen, wuͤrden ja nicht die Moͤglichkeit einschließen, Verschiedenheiten zwischen ihnen wahrzunehmen! und also setzt Wahrnehmung der Verschiedenheiten auch schon Wahrnehmung der Gleichheit voraus. — Jst also der Witz sogar da thaͤtig, wo es auf Wahrnehmung der Verschiedenheiten ankoͤmmt; wird er es denn nicht da seyn, wo die Jdee der Aehnlichkeit die deutlichste ist? Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch fuͤr Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Jdee die sich in uns draͤngt — sie dringe so ploͤtzlich ein als sie wolle — wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? — Der staͤrkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe aͤhnlicher ineinander gegruͤndeter Jdeen gefuͤhrt hat, ist von dieser Unaͤhnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae, und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/117
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/117>, abgerufen am 04.05.2024.