Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Täuschung liegt nicht in den sinnlichen Empfindungen an sich, sondern in ihrer Verknüpfung; ist diese Verknüpfung in unserer Wahrnehmung beständig, so nennen wir sie Wahrheit, wo nicht, so halten wir das, daß wir sie bisher für beständig gehalten haben, für eine Täuschung. Die Wahrheit beruht also auf der zufälligen Uebereinstimmung der Wahrnehmung dieser Verknüpfung mit dem Glauben an dieselbe. Die Täuschung hingegen auf der zufälligen Nichtübereinstimmung derselben. Der Glaube an sich aber hat in beiden Fällen keinen nothwendigen objektiven Grund. Aber wozu auch dieser? Der zufällige subjektive Grund ist schon hinreichend genug, so wohl zum Gebrauche im gemeinen Leben, als zur Erweiterung unsrer Erkenntniß in Ansehung der Natur, und ihrer Erscheinungen.

Täuschung und (historischer) Betrug sind einander ähnlich, in so fern in beiden die Vorstellung für den Gegenstand selbst gehalten wird. Sie sind aber voneinander verschieden, in so fern ein Betrug durch seine Entdeckung vernichtet werden muß; Täuschung hingegen auch durch Ueberzeugung, daß sie Täuschung sey, nicht vernichtet wird. Ein Stock der zum Theil im Wasser, zum Theil aber ausser demselben ist, scheint an dem Orte wo er die Oberfläche des Wassers berührt gebrochen zu seyn. Wer von der Optik nichts versteht, und auch noch nicht durch Erfahrung diese Erscheinung zu


Die Taͤuschung liegt nicht in den sinnlichen Empfindungen an sich, sondern in ihrer Verknuͤpfung; ist diese Verknuͤpfung in unserer Wahrnehmung bestaͤndig, so nennen wir sie Wahrheit, wo nicht, so halten wir das, daß wir sie bisher fuͤr bestaͤndig gehalten haben, fuͤr eine Taͤuschung. Die Wahrheit beruht also auf der zufaͤlligen Uebereinstimmung der Wahrnehmung dieser Verknuͤpfung mit dem Glauben an dieselbe. Die Taͤuschung hingegen auf der zufaͤlligen Nichtuͤbereinstimmung derselben. Der Glaube an sich aber hat in beiden Faͤllen keinen nothwendigen objektiven Grund. Aber wozu auch dieser? Der zufaͤllige subjektive Grund ist schon hinreichend genug, so wohl zum Gebrauche im gemeinen Leben, als zur Erweiterung unsrer Erkenntniß in Ansehung der Natur, und ihrer Erscheinungen.

Taͤuschung und (historischer) Betrug sind einander aͤhnlich, in so fern in beiden die Vorstellung fuͤr den Gegenstand selbst gehalten wird. Sie sind aber voneinander verschieden, in so fern ein Betrug durch seine Entdeckung vernichtet werden muß; Taͤuschung hingegen auch durch Ueberzeugung, daß sie Taͤuschung sey, nicht vernichtet wird. Ein Stock der zum Theil im Wasser, zum Theil aber ausser demselben ist, scheint an dem Orte wo er die Oberflaͤche des Wassers beruͤhrt gebrochen zu seyn. Wer von der Optik nichts versteht, und auch noch nicht durch Erfahrung diese Erscheinung zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0041" n="41"/><lb/>
            <p>Die Ta&#x0364;uschung liegt nicht in den sinnlichen Empfindungen an sich, sondern in                         ihrer Verknu&#x0364;pfung; ist diese Verknu&#x0364;pfung in unserer Wahrnehmung besta&#x0364;ndig,                         so nennen wir sie Wahrheit, wo nicht, so halten wir das, daß wir sie bisher                         fu&#x0364;r besta&#x0364;ndig gehalten haben, fu&#x0364;r eine Ta&#x0364;uschung. Die Wahrheit beruht also                         auf der zufa&#x0364;lligen Uebereinstimmung der Wahrnehmung dieser Verknu&#x0364;pfung mit                         dem Glauben an dieselbe. Die Ta&#x0364;uschung hingegen auf der zufa&#x0364;lligen                         Nichtu&#x0364;bereinstimmung derselben. Der Glaube an sich aber hat in beiden Fa&#x0364;llen                         keinen nothwendigen objektiven Grund. Aber wozu auch dieser? Der zufa&#x0364;llige                         subjektive Grund ist schon hinreichend genug, so wohl zum Gebrauche im                         gemeinen Leben, als zur Erweiterung unsrer Erkenntniß in Ansehung der Natur,                         und ihrer Erscheinungen.</p>
            <p><hi rendition="#b">Ta&#x0364;uschung</hi> und (historischer) <hi rendition="#b">Betrug</hi> sind einander a&#x0364;hnlich, in so fern in beiden die <hi rendition="#b">Vorstellung</hi> fu&#x0364;r den <hi rendition="#b">Gegenstand</hi> selbst gehalten wird. Sie sind aber voneinander                         verschieden, in so fern ein Betrug durch seine <hi rendition="#b">Entdeckung</hi> vernichtet werden muß; Ta&#x0364;uschung hingegen auch durch                         Ueberzeugung, daß sie Ta&#x0364;uschung sey, nicht vernichtet wird. Ein Stock der                         zum Theil im Wasser, zum Theil aber ausser demselben ist, scheint an dem                         Orte wo er die Oberfla&#x0364;che des Wassers beru&#x0364;hrt gebrochen zu seyn. Wer von der                         Optik nichts versteht, und auch noch nicht durch Erfahrung diese Erscheinung                         zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0041] Die Taͤuschung liegt nicht in den sinnlichen Empfindungen an sich, sondern in ihrer Verknuͤpfung; ist diese Verknuͤpfung in unserer Wahrnehmung bestaͤndig, so nennen wir sie Wahrheit, wo nicht, so halten wir das, daß wir sie bisher fuͤr bestaͤndig gehalten haben, fuͤr eine Taͤuschung. Die Wahrheit beruht also auf der zufaͤlligen Uebereinstimmung der Wahrnehmung dieser Verknuͤpfung mit dem Glauben an dieselbe. Die Taͤuschung hingegen auf der zufaͤlligen Nichtuͤbereinstimmung derselben. Der Glaube an sich aber hat in beiden Faͤllen keinen nothwendigen objektiven Grund. Aber wozu auch dieser? Der zufaͤllige subjektive Grund ist schon hinreichend genug, so wohl zum Gebrauche im gemeinen Leben, als zur Erweiterung unsrer Erkenntniß in Ansehung der Natur, und ihrer Erscheinungen. Taͤuschung und (historischer) Betrug sind einander aͤhnlich, in so fern in beiden die Vorstellung fuͤr den Gegenstand selbst gehalten wird. Sie sind aber voneinander verschieden, in so fern ein Betrug durch seine Entdeckung vernichtet werden muß; Taͤuschung hingegen auch durch Ueberzeugung, daß sie Taͤuschung sey, nicht vernichtet wird. Ein Stock der zum Theil im Wasser, zum Theil aber ausser demselben ist, scheint an dem Orte wo er die Oberflaͤche des Wassers beruͤhrt gebrochen zu seyn. Wer von der Optik nichts versteht, und auch noch nicht durch Erfahrung diese Erscheinung zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/41
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/41>, abgerufen am 19.04.2024.