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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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3. Ueber Selbsttäuschung.

Jn der menschlichen Natur giebt es gewiß kein unerklärbareres Phänomen, als die Möglichkeit, sich selber zu täuschen, gleichsam als ob man ein von sich selbst verschiedenes Wesen wäre, daß zweierlei Jnteresse hätte.

Da nun kein Mensch leicht den andern täuscht, ohne sich irgend einen Vortheil davon zu versprechen, so scheint es auch, als ob man sich selber unmöglich täuschen könne, ohne irgend einen Vortheil von dieser Täuschung zu erwarten, oder zu geniessen.

Wer aber hiebei betrogen wird, ist demohngeachtet niemand, als wir selbst; und doch wäre es ungereimt zu sagen, daß irgend ein Mensch die Absicht haben könnte, sich selbst im Ernst zu betrügen. --

Um dieses Räthsel aufzulösen sind die sonderbaren Beispiele von Selbsttäuschung in dem Leben der Menschen äusserst wichtig; und verdienen in jeder Rücksicht näher erwogen zu werden.

Offenbar findet der meiste Selbstbetrug bei den religiösen Empfindungen statt, welche man sich oft zu haben Mühe giebt, und am Ende wirklich zu haben glaubt, indem man bei leerem Herzen, in Ergiessungen des Danks und der Ehrfurcht ausbricht, die man nicht mehr für erkünstelt hält, und die es dennoch sind.



3. Ueber Selbsttaͤuschung.

Jn der menschlichen Natur giebt es gewiß kein unerklaͤrbareres Phaͤnomen, als die Moͤglichkeit, sich selber zu taͤuschen, gleichsam als ob man ein von sich selbst verschiedenes Wesen waͤre, daß zweierlei Jnteresse haͤtte.

Da nun kein Mensch leicht den andern taͤuscht, ohne sich irgend einen Vortheil davon zu versprechen, so scheint es auch, als ob man sich selber unmoͤglich taͤuschen koͤnne, ohne irgend einen Vortheil von dieser Taͤuschung zu erwarten, oder zu geniessen.

Wer aber hiebei betrogen wird, ist demohngeachtet niemand, als wir selbst; und doch waͤre es ungereimt zu sagen, daß irgend ein Mensch die Absicht haben koͤnnte, sich selbst im Ernst zu betruͤgen. —

Um dieses Raͤthsel aufzuloͤsen sind die sonderbaren Beispiele von Selbsttaͤuschung in dem Leben der Menschen aͤusserst wichtig; und verdienen in jeder Ruͤcksicht naͤher erwogen zu werden.

Offenbar findet der meiste Selbstbetrug bei den religioͤsen Empfindungen statt, welche man sich oft zu haben Muͤhe giebt, und am Ende wirklich zu haben glaubt, indem man bei leerem Herzen, in Ergiessungen des Danks und der Ehrfurcht ausbricht, die man nicht mehr fuͤr erkuͤnstelt haͤlt, und die es dennoch sind.


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[32/0032] 3. Ueber Selbsttaͤuschung. Jn der menschlichen Natur giebt es gewiß kein unerklaͤrbareres Phaͤnomen, als die Moͤglichkeit, sich selber zu taͤuschen, gleichsam als ob man ein von sich selbst verschiedenes Wesen waͤre, daß zweierlei Jnteresse haͤtte. Da nun kein Mensch leicht den andern taͤuscht, ohne sich irgend einen Vortheil davon zu versprechen, so scheint es auch, als ob man sich selber unmoͤglich taͤuschen koͤnne, ohne irgend einen Vortheil von dieser Taͤuschung zu erwarten, oder zu geniessen. Wer aber hiebei betrogen wird, ist demohngeachtet niemand, als wir selbst; und doch waͤre es ungereimt zu sagen, daß irgend ein Mensch die Absicht haben koͤnnte, sich selbst im Ernst zu betruͤgen. — Um dieses Raͤthsel aufzuloͤsen sind die sonderbaren Beispiele von Selbsttaͤuschung in dem Leben der Menschen aͤusserst wichtig; und verdienen in jeder Ruͤcksicht naͤher erwogen zu werden. Offenbar findet der meiste Selbstbetrug bei den religioͤsen Empfindungen statt, welche man sich oft zu haben Muͤhe giebt, und am Ende wirklich zu haben glaubt, indem man bei leerem Herzen, in Ergiessungen des Danks und der Ehrfurcht ausbricht, die man nicht mehr fuͤr erkuͤnstelt haͤlt, und die es dennoch sind.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/32>, abgerufen am 29.03.2024.