Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
Man will sich der Natur nähern, und entfernt sich immer mehr von ihr; man will uns mehr Kraft geben, und macht uns nur gedrückter und weichlicher. Jn der That, ich kenne nichts Verächtlicheres! Man spricht von nichts als von Vorurtheilen, wann werden wir aber einmal diese Modevorurtheile ablegen, die uns von den alten Vorurtheilen befreien sollen, und nichts leisten als Neue an die Stelle der Alten zu setzen, die am Ende nicht schlimmer, und vielleicht nicht einmal so schlimm seyn werden! Jch will nur im Vorbeigehen noch eine Stelle meines Briefes IV. 2. S. 93 berühren, die wie mich dünkt einer der dortigen Journalisten herausgehoben hat. Die Rede ist von einem Frauenzimmer, welche von einer sehr heftigen Gemüthskrankheit geheilt wurde, und die ich über die Sensationen und Empfindungen während ihrer Krankheit befragte. Jch sage in Jhrer Uebersetzung: "Jch hörte verschiedene Dinge von ihr, welche von der Art sind, daß ich sie nie offenbaren werde." Ueber diese Erklärung ereifert sich der Herr, und macht mir den Proceß. Er kann sich mit seiner ärmlichen Einbildungskraft nicht denken, daß es Dinge geben kann, die eine Person nach überstandener Gemüthskrankheit für Sensationen oder gemachte Erfahrungen ausgiebt, und die der Vernünftige, dem sie
Man will sich der Natur naͤhern, und entfernt sich immer mehr von ihr; man will uns mehr Kraft geben, und macht uns nur gedruͤckter und weichlicher. Jn der That, ich kenne nichts Veraͤchtlicheres! Man spricht von nichts als von Vorurtheilen, wann werden wir aber einmal diese Modevorurtheile ablegen, die uns von den alten Vorurtheilen befreien sollen, und nichts leisten als Neue an die Stelle der Alten zu setzen, die am Ende nicht schlimmer, und vielleicht nicht einmal so schlimm seyn werden! Jch will nur im Vorbeigehen noch eine Stelle meines Briefes IV. 2. S. 93 beruͤhren, die wie mich duͤnkt einer der dortigen Journalisten herausgehoben hat. Die Rede ist von einem Frauenzimmer, welche von einer sehr heftigen Gemuͤthskrankheit geheilt wurde, und die ich uͤber die Sensationen und Empfindungen waͤhrend ihrer Krankheit befragte. Jch sage in Jhrer Uebersetzung: »Jch hoͤrte verschiedene Dinge von ihr, welche von der Art sind, daß ich sie nie offenbaren werde.« Ueber diese Erklaͤrung ereifert sich der Herr, und macht mir den Proceß. Er kann sich mit seiner aͤrmlichen Einbildungskraft nicht denken, daß es Dinge geben kann, die eine Person nach uͤberstandener Gemuͤthskrankheit fuͤr Sensationen oder gemachte Erfahrungen ausgiebt, und die der Vernuͤnftige, dem sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0105" n="105"/><lb/> sre neumodische Philosophie, und besonders die <hi rendition="#b">empfindelnde</hi> ist gewiß die Krone aller <hi rendition="#b">Eitelkeiten.</hi> </p> <p>Man will sich der Natur naͤhern, und entfernt sich immer mehr von ihr; man will uns mehr Kraft geben, und macht uns nur gedruͤckter und weichlicher. Jn der That, ich kenne nichts Veraͤchtlicheres! Man spricht von nichts als von Vorurtheilen, wann werden wir aber einmal diese <hi rendition="#b">Modevorurtheile</hi> ablegen, die uns von den alten Vorurtheilen befreien sollen, und nichts leisten als Neue an die Stelle der Alten zu setzen, die am Ende nicht schlimmer, und vielleicht nicht einmal so schlimm seyn werden! </p> <p>Jch will nur im Vorbeigehen noch eine Stelle meines Briefes <hi rendition="#aq">IV.</hi> 2. S. 93 beruͤhren, die wie mich duͤnkt einer der dortigen Journalisten herausgehoben hat. Die Rede ist von einem Frauenzimmer, welche von einer sehr heftigen Gemuͤthskrankheit geheilt wurde, und die ich uͤber die Sensationen und Empfindungen waͤhrend ihrer Krankheit befragte. Jch sage in Jhrer Uebersetzung: »Jch hoͤrte verschiedene Dinge von ihr, welche von der Art sind, daß ich sie nie offenbaren werde.« Ueber diese Erklaͤrung ereifert sich der Herr, und macht mir den Proceß. Er kann sich mit seiner aͤrmlichen Einbildungskraft nicht denken, daß es Dinge geben kann, die eine Person nach uͤberstandener Gemuͤthskrankheit fuͤr Sensationen oder gemachte Erfahrungen ausgiebt, und die der Vernuͤnftige, dem sie<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0105]
sre neumodische Philosophie, und besonders die empfindelnde ist gewiß die Krone aller Eitelkeiten.
Man will sich der Natur naͤhern, und entfernt sich immer mehr von ihr; man will uns mehr Kraft geben, und macht uns nur gedruͤckter und weichlicher. Jn der That, ich kenne nichts Veraͤchtlicheres! Man spricht von nichts als von Vorurtheilen, wann werden wir aber einmal diese Modevorurtheile ablegen, die uns von den alten Vorurtheilen befreien sollen, und nichts leisten als Neue an die Stelle der Alten zu setzen, die am Ende nicht schlimmer, und vielleicht nicht einmal so schlimm seyn werden!
Jch will nur im Vorbeigehen noch eine Stelle meines Briefes IV. 2. S. 93 beruͤhren, die wie mich duͤnkt einer der dortigen Journalisten herausgehoben hat. Die Rede ist von einem Frauenzimmer, welche von einer sehr heftigen Gemuͤthskrankheit geheilt wurde, und die ich uͤber die Sensationen und Empfindungen waͤhrend ihrer Krankheit befragte. Jch sage in Jhrer Uebersetzung: »Jch hoͤrte verschiedene Dinge von ihr, welche von der Art sind, daß ich sie nie offenbaren werde.« Ueber diese Erklaͤrung ereifert sich der Herr, und macht mir den Proceß. Er kann sich mit seiner aͤrmlichen Einbildungskraft nicht denken, daß es Dinge geben kann, die eine Person nach uͤberstandener Gemuͤthskrankheit fuͤr Sensationen oder gemachte Erfahrungen ausgiebt, und die der Vernuͤnftige, dem sie
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/105>, abgerufen am 16.02.2025. |