Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.4. >Beobachtungen über Taubstumme. ![]() Wie ich im ersten Stücke des achten Bandes dieses Magazins S. 58. schon erzählte: unser Lebrecht war sehr vom Geniewesen angesteckt, und daher lauter Phantasie, gleich einem mondsüchtigen Dichter. Lebrecht fand an einem andern Zöglinge im Jnstitute, Christlieb K., den Freund seines Herzens. Mir war diese Freundschaft keineswegs lieb; denn Christlieb war ein widriger konfiszirter Junge, bettelarm an Seele und Leib. Noch bleibt mir es ein unerklärtes Phänomen, wie Lebrecht an ihn sich hängen konnte. Es ist ausgemacht, daß sowohl kluges Betragen als dumme Aeusserung eben so ansteckend ist als Krankheiten, und Christlieb that unserm Lebrecht unsäglichen Schaden. Das Gute, das ich in diesem mühsam mit Ameisenfleiße zu Haufen schlepte, jagte jener öfters in einem Hui wieder fort. Lebrecht war nicht allzulange im Churfürstlichen Sächsischen Jnstitute zu Leipzig, als er die ersten Landkarten bei uns sah. Anfänglich hielt er sich bloß bei den dabei befindlichen Bildern auf, bei den Schiffen, Fischen, Jägern, Schnittern und Thieren. Allein er merkte bald, daß dies nicht die 4. >Beobachtungen uͤber Taubstumme. ![]() Wie ich im ersten Stuͤcke des achten Bandes dieses Magazins S. 58. schon erzaͤhlte: unser Lebrecht war sehr vom Geniewesen angesteckt, und daher lauter Phantasie, gleich einem mondsuͤchtigen Dichter. Lebrecht fand an einem andern Zoͤglinge im Jnstitute, Christlieb K., den Freund seines Herzens. Mir war diese Freundschaft keineswegs lieb; denn Christlieb war ein widriger konfiszirter Junge, bettelarm an Seele und Leib. Noch bleibt mir es ein unerklaͤrtes Phaͤnomen, wie Lebrecht an ihn sich haͤngen konnte. Es ist ausgemacht, daß sowohl kluges Betragen als dumme Aeusserung eben so ansteckend ist als Krankheiten, und Christlieb that unserm Lebrecht unsaͤglichen Schaden. Das Gute, das ich in diesem muͤhsam mit Ameisenfleiße zu Haufen schlepte, jagte jener oͤfters in einem Hui wieder fort. Lebrecht war nicht allzulange im Churfuͤrstlichen Saͤchsischen Jnstitute zu Leipzig, als er die ersten Landkarten bei uns sah. Anfaͤnglich hielt er sich bloß bei den dabei befindlichen Bildern auf, bei den Schiffen, Fischen, Jaͤgern, Schnittern und Thieren. Allein er merkte bald, daß dies nicht die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0037" n="37"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>4. >Beobachtungen uͤber Taubstumme. <note type="editorial"><bibl><persName ref="#ref17"><note type="editorial"/>Eschke</persName></bibl></note> Zweiter Versuch.</head><lb/> <p>Wie ich im ersten Stuͤcke des achten Bandes dieses Magazins S. 58. schon erzaͤhlte: unser Lebrecht war sehr vom Geniewesen angesteckt, und daher lauter Phantasie, gleich einem mondsuͤchtigen Dichter. </p> <p>Lebrecht fand an einem andern Zoͤglinge im Jnstitute, Christlieb K., den Freund seines Herzens. Mir war diese Freundschaft keineswegs lieb; denn Christlieb war ein widriger konfiszirter Junge, bettelarm an Seele und Leib. Noch bleibt mir es ein unerklaͤrtes Phaͤnomen, wie Lebrecht an ihn sich haͤngen konnte. </p> <p>Es ist ausgemacht, daß sowohl kluges Betragen als dumme Aeusserung eben so ansteckend ist als Krankheiten, und Christlieb that unserm Lebrecht unsaͤglichen Schaden. Das Gute, das ich in diesem muͤhsam mit Ameisenfleiße zu Haufen schlepte, jagte jener oͤfters in einem Hui wieder fort. </p> <p>Lebrecht war nicht allzulange im Churfuͤrstlichen Saͤchsischen Jnstitute zu Leipzig, als er die ersten Landkarten bei uns sah. Anfaͤnglich hielt er sich bloß bei den dabei befindlichen Bildern auf, bei den Schiffen, Fischen, Jaͤgern, Schnittern und Thieren. Allein er merkte bald, daß dies nicht die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0037]
4. >Beobachtungen uͤber Taubstumme. Zweiter Versuch.
Wie ich im ersten Stuͤcke des achten Bandes dieses Magazins S. 58. schon erzaͤhlte: unser Lebrecht war sehr vom Geniewesen angesteckt, und daher lauter Phantasie, gleich einem mondsuͤchtigen Dichter.
Lebrecht fand an einem andern Zoͤglinge im Jnstitute, Christlieb K., den Freund seines Herzens. Mir war diese Freundschaft keineswegs lieb; denn Christlieb war ein widriger konfiszirter Junge, bettelarm an Seele und Leib. Noch bleibt mir es ein unerklaͤrtes Phaͤnomen, wie Lebrecht an ihn sich haͤngen konnte.
Es ist ausgemacht, daß sowohl kluges Betragen als dumme Aeusserung eben so ansteckend ist als Krankheiten, und Christlieb that unserm Lebrecht unsaͤglichen Schaden. Das Gute, das ich in diesem muͤhsam mit Ameisenfleiße zu Haufen schlepte, jagte jener oͤfters in einem Hui wieder fort.
Lebrecht war nicht allzulange im Churfuͤrstlichen Saͤchsischen Jnstitute zu Leipzig, als er die ersten Landkarten bei uns sah. Anfaͤnglich hielt er sich bloß bei den dabei befindlichen Bildern auf, bei den Schiffen, Fischen, Jaͤgern, Schnittern und Thieren. Allein er merkte bald, daß dies nicht die
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/37>, abgerufen am 16.02.2025. |