Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.
Die Kirche wird nehmlich außer den Karthäusern selber fast von niemand besucht, und weil keine Gemeinde dazu gehört, so ist hier auch weder Kanzel noch Stühle oder Bänke, sondern nichts als die leeren Wände und der flache Boden, welches dieser Kirche, bei dem dämmernden Lichte, das von oben durch die Fenster fällt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt. O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die weißgekleideten Mönche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich bückend seinen Zug an der Glocke that. Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in tiefen, traurigen Tönen an -- bald standen sie auf und sangen Hymnen, die traurig zurück erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten in tiefen klagenden Tönen um Erbarmung. -- Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Jüngling mit blassen Wangen von ausnehmend schöner Bildung -- Reiser konnte seine
Die Kirche wird nehmlich außer den Karthaͤusern selber fast von niemand besucht, und weil keine Gemeinde dazu gehoͤrt, so ist hier auch weder Kanzel noch Stuͤhle oder Baͤnke, sondern nichts als die leeren Waͤnde und der flache Boden, welches dieser Kirche, bei dem daͤmmernden Lichte, das von oben durch die Fenster faͤllt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt. O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die weißgekleideten Moͤnche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich buͤckend seinen Zug an der Glocke that. Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in tiefen, traurigen Toͤnen an — bald standen sie auf und sangen Hymnen, die traurig zuruͤck erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten in tiefen klagenden Toͤnen um Erbarmung. — Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Juͤngling mit blassen Wangen von ausnehmend schoͤner Bildung — Reiser konnte seine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0099" n="97"/><lb/> bemerken ist, daß Reiser damals neunzehn und O... zwanzig Jahr alt war, und wußten nicht, was sie mit dem Rest ihrer Tage anfangen sollten, als sie in dem Kloster anlangten, und in die Kirche traten, welche schon durch ihre leeren weißen Waͤnde, und den einsamen Chor die Stille des Grabes predigte. </p> <p>Die Kirche wird nehmlich außer den Karthaͤusern selber fast von niemand besucht, und weil keine Gemeinde dazu gehoͤrt, so ist hier auch weder Kanzel noch Stuͤhle oder Baͤnke, sondern nichts als die leeren Waͤnde und der flache Boden, welches dieser Kirche, bei dem daͤmmernden Lichte, das von oben durch die Fenster faͤllt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt. </p> <p>O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die weißgekleideten Moͤnche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich buͤckend seinen Zug an der Glocke that. </p> <p>Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in tiefen, traurigen Toͤnen an — bald standen sie auf und sangen Hymnen, die traurig zuruͤck erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten in tiefen klagenden Toͤnen um Erbarmung. — </p> <p>Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Juͤngling mit blassen Wangen von ausnehmend schoͤner Bildung — Reiser konnte seine<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [97/0099]
bemerken ist, daß Reiser damals neunzehn und O... zwanzig Jahr alt war, und wußten nicht, was sie mit dem Rest ihrer Tage anfangen sollten, als sie in dem Kloster anlangten, und in die Kirche traten, welche schon durch ihre leeren weißen Waͤnde, und den einsamen Chor die Stille des Grabes predigte.
Die Kirche wird nehmlich außer den Karthaͤusern selber fast von niemand besucht, und weil keine Gemeinde dazu gehoͤrt, so ist hier auch weder Kanzel noch Stuͤhle oder Baͤnke, sondern nichts als die leeren Waͤnde und der flache Boden, welches dieser Kirche, bei dem daͤmmernden Lichte, das von oben durch die Fenster faͤllt, ein sehr ernstes und melancholisches Ansehn giebt.
O... und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore, als die weißgekleideten Moͤnche einer nach dem andern hereintraten, und jeder sich buͤckend seinen Zug an der Glocke that.
Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußgesang in tiefen, traurigen Toͤnen an — bald standen sie auf und sangen Hymnen, die traurig zuruͤck erschallten; dann fielen sie auf ihr Angesicht, und flehten in tiefen klagenden Toͤnen um Erbarmung. —
Ganz an dem einem Ende des halben Zirkels stand ein Juͤngling mit blassen Wangen von ausnehmend schoͤner Bildung — Reiser konnte seine
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/99>, abgerufen am 16.02.2025. |