Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

10. Erinnerungen aus den frühesten Jahren der Kindheit.
1.

Daß gewisse Momente in der Kindheit gleichsam ein Erwachen aus einem Schlummer sind, scheint aus Folgendem zu erhellen.

Als ich zwei Jahr alt war, wohnten meine Eltern den Sommer über in Pyrmont. Jn demselben Hause wohnte auch ein Schuster, welcher fast alle Abend nach der Arbeit mich auf den Arm nahm, und mit mir spatzieren gieng.

Dies weiß ich nur aus der Erzählung meiner Eltern, und besinne mich nichts davon.

Als aber eines Abends die Allee bei dem Gesundbrunnen erleuchtet war, so ging dieser Schuster mit mir auf die gewöhnliche Art nach einer Anhöhe, wo man dieses Schauspiel ganz übersehen konnte.

Dieses einzigen Umstandes erinnere ich mich mit Ausschliessung alles Uebrigen, mit der größten Lebhaftigkeit und Deutlichkeit.

Es war das erstemal in meinem Leben, das ich so etwas sah, ich wurde damit überrascht, und die Erinnerung ist mir noch so, als wenn ich zwischen einem Schlummer einmal erwacht, und dann plötzlich wieder eingeschlafen wäre. Jn diesem


10. Erinnerungen aus den fruͤhesten Jahren der Kindheit.
1.

Daß gewisse Momente in der Kindheit gleichsam ein Erwachen aus einem Schlummer sind, scheint aus Folgendem zu erhellen.

Als ich zwei Jahr alt war, wohnten meine Eltern den Sommer uͤber in Pyrmont. Jn demselben Hause wohnte auch ein Schuster, welcher fast alle Abend nach der Arbeit mich auf den Arm nahm, und mit mir spatzieren gieng.

Dies weiß ich nur aus der Erzaͤhlung meiner Eltern, und besinne mich nichts davon.

Als aber eines Abends die Allee bei dem Gesundbrunnen erleuchtet war, so ging dieser Schuster mit mir auf die gewoͤhnliche Art nach einer Anhoͤhe, wo man dieses Schauspiel ganz uͤbersehen konnte.

Dieses einzigen Umstandes erinnere ich mich mit Ausschliessung alles Uebrigen, mit der groͤßten Lebhaftigkeit und Deutlichkeit.

Es war das erstemal in meinem Leben, das ich so etwas sah, ich wurde damit uͤberrascht, und die Erinnerung ist mir noch so, als wenn ich zwischen einem Schlummer einmal erwacht, und dann ploͤtzlich wieder eingeschlafen waͤre. Jn diesem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0085" n="83"/><lb/><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>10.                 Erinnerungen aus den fru&#x0364;hesten Jahren der Kindheit.</head><lb/>
            <note type="editorial">
              <bibl>
                <persName ref="#ref19"><note type="editorial"/>K. St. &lt;= Moritz, Johann Christian                             Conrad&gt;</persName>
              </bibl>
            </note>
            <div n="4">
              <head>1.</head><lb/>
              <p>Daß gewisse Momente in der Kindheit gleichsam ein Erwachen                         aus einem Schlummer sind, scheint aus Folgendem zu erhellen. </p>
              <p>Als ich zwei Jahr alt war, wohnten meine Eltern den Sommer u&#x0364;ber in Pyrmont.                         Jn demselben Hause wohnte auch ein Schuster, welcher fast alle Abend nach                         der Arbeit mich auf den Arm nahm, und mit mir spatzieren gieng. </p>
              <p>Dies weiß ich nur aus der Erza&#x0364;hlung meiner Eltern, und besinne mich nichts                         davon. </p>
              <p>Als aber eines Abends die Allee bei dem Gesundbrunnen erleuchtet war, so ging                         dieser Schuster mit mir auf die gewo&#x0364;hnliche Art nach einer Anho&#x0364;he, wo man                         dieses Schauspiel ganz u&#x0364;bersehen konnte. </p>
              <p>Dieses einzigen Umstandes erinnere ich mich mit Ausschliessung alles                         Uebrigen, mit der gro&#x0364;ßten Lebhaftigkeit und Deutlichkeit. </p>
              <p>Es war das erstemal in meinem Leben, das ich so etwas sah, ich wurde damit                         u&#x0364;berrascht, und die Erinnerung ist mir noch so, als wenn ich zwischen einem                         Schlummer einmal erwacht, und dann plo&#x0364;tzlich wieder eingeschlafen wa&#x0364;re. Jn                         diesem<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0085] 10. Erinnerungen aus den fruͤhesten Jahren der Kindheit. 1. Daß gewisse Momente in der Kindheit gleichsam ein Erwachen aus einem Schlummer sind, scheint aus Folgendem zu erhellen. Als ich zwei Jahr alt war, wohnten meine Eltern den Sommer uͤber in Pyrmont. Jn demselben Hause wohnte auch ein Schuster, welcher fast alle Abend nach der Arbeit mich auf den Arm nahm, und mit mir spatzieren gieng. Dies weiß ich nur aus der Erzaͤhlung meiner Eltern, und besinne mich nichts davon. Als aber eines Abends die Allee bei dem Gesundbrunnen erleuchtet war, so ging dieser Schuster mit mir auf die gewoͤhnliche Art nach einer Anhoͤhe, wo man dieses Schauspiel ganz uͤbersehen konnte. Dieses einzigen Umstandes erinnere ich mich mit Ausschliessung alles Uebrigen, mit der groͤßten Lebhaftigkeit und Deutlichkeit. Es war das erstemal in meinem Leben, das ich so etwas sah, ich wurde damit uͤberrascht, und die Erinnerung ist mir noch so, als wenn ich zwischen einem Schlummer einmal erwacht, und dann ploͤtzlich wieder eingeschlafen waͤre. Jn diesem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/85
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/85>, abgerufen am 09.11.2024.