Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0052" n="52"/><lb/> meister, ey Herr Prediger: ich bin kommen die Suͤnder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen, spricht der Heiland, und sie wollten ihm das so schwer machen! Huͤte er sich mein Freund ein solcher Frommer zu werden, war meine Antwort, solche Fromme, wie hier gemeint waren, sind Pharisaͤer die sich selbst vermaßen, und sich schon fuͤr gut genug hielten, und von Gering waͤre zu wuͤnschen, daß er ein solcher Suͤnder wie die gemeinten waͤre, noch ist ers nicht! O wie mancher Lasterhafte wird mit solchen uͤbel verstandenen Kraftworten sanft eingeschlaͤfert, als wenn Haͤndefalten und ein Paar Thraͤnen aus banger Brust eben einen solchen Suͤnder d.i. Wahrheits- und Besserungsbegierigen Menschen anzeigten! Die Antwort kenne ich, aber wozu nuzt alles leidige Disputiren — bessere den Lasterhaften wenn du kannst, sonst schweig und benutze das Evangelium fuͤr dich allein! Ueber diese schließliche Unterredung kam denn ein Geistlicher herein, ein Mitbruder der Gesellschaft zur Befoͤrderung reiner Lehre etc. Dieser nun brachte dem Armensuͤnder, indem ich wegging und meine Absicht erreicht hatte, das rechte Labsal mit; da muste nun alles, was ich gesagt hatte, nicht so strikte zu verstehen seyn; da wurde das Werk der Bekehrung leicht gemacht, wer nur Glauben hatte, denn kann der Lasterknecht bald Engel werden — nur fuͤrchte ich diesen Glauben kannte Gering durchaus nicht, hat ihn auch nicht erlanget, wie die Folge zeigen wird — seine Seele war unheilbar krank.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0052]
meister, ey Herr Prediger: ich bin kommen die Suͤnder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen, spricht der Heiland, und sie wollten ihm das so schwer machen! Huͤte er sich mein Freund ein solcher Frommer zu werden, war meine Antwort, solche Fromme, wie hier gemeint waren, sind Pharisaͤer die sich selbst vermaßen, und sich schon fuͤr gut genug hielten, und von Gering waͤre zu wuͤnschen, daß er ein solcher Suͤnder wie die gemeinten waͤre, noch ist ers nicht! O wie mancher Lasterhafte wird mit solchen uͤbel verstandenen Kraftworten sanft eingeschlaͤfert, als wenn Haͤndefalten und ein Paar Thraͤnen aus banger Brust eben einen solchen Suͤnder d.i. Wahrheits- und Besserungsbegierigen Menschen anzeigten! Die Antwort kenne ich, aber wozu nuzt alles leidige Disputiren — bessere den Lasterhaften wenn du kannst, sonst schweig und benutze das Evangelium fuͤr dich allein! Ueber diese schließliche Unterredung kam denn ein Geistlicher herein, ein Mitbruder der Gesellschaft zur Befoͤrderung reiner Lehre etc. Dieser nun brachte dem Armensuͤnder, indem ich wegging und meine Absicht erreicht hatte, das rechte Labsal mit; da muste nun alles, was ich gesagt hatte, nicht so strikte zu verstehen seyn; da wurde das Werk der Bekehrung leicht gemacht, wer nur Glauben hatte, denn kann der Lasterknecht bald Engel werden — nur fuͤrchte ich diesen Glauben kannte Gering durchaus nicht, hat ihn auch nicht erlanget, wie die Folge zeigen wird — seine Seele war unheilbar krank.
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