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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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rung am Galgen, der dicht an der Landstraße steht, und mir, der ich eben auf einer Reise begriffen war bei meiner Annäherung nach völlig gesunkenem Tage ein unerklärbares Phänomen wurden, zumal ich von der scheußlichen Scene nichts wuste, so daß ich alle meine Kurage zusammennehmen mußte, dies Abentheuer, wollte ich nicht retiriren, mannhaft zu bestehen. Kurz nachher wurde denn auch endlich unser Gering inhaftirt; der Proceß wurde ihm gemacht, und nach gehöriger Procedur wurd' er auch zum Galgen verdammt; mit ihm wurden mehrere Räuber eingezogen, welche wesentliche Wohlthat unser Publicum dem würdigen und wachsamen damaligen Amtmann jetzigen Kriegs- und Domänen-Rath Tiemann in Minden zu verdanken hatte. Diese Nachricht schien Gerings Muth, dem Aeussern nach, niederzuschlagen, denn er war schon mehrmalen aus verschiedenen Gegenden dem Strange glüklich entwischt. Jnzwischen war er doch noch zu delicat, als am Galgen sterben zu wollen, der Vorwand war: der Sünder am Galgen sey verflucht; ein gemisdeuteter Spruch war ihm Veranlassung, denn er war reich an guten biblischen Sprüchen. Gering hielt also um das Schwert an, auch dadurch Zeit zu gewinnen, sich von seinen starken Banden zu befreien, und die Mauer des Gefängnisses mit Hülfe seines Spiesgesellen zu durchbrechen. Jn dieser Zwischenzeit, wo er denn auch seine Zeit zum Durchbrechen recht fleißig benutzte, besuchte


rung am Galgen, der dicht an der Landstraße steht, und mir, der ich eben auf einer Reise begriffen war bei meiner Annaͤherung nach voͤllig gesunkenem Tage ein unerklaͤrbares Phaͤnomen wurden, zumal ich von der scheußlichen Scene nichts wuste, so daß ich alle meine Kurage zusammennehmen mußte, dies Abentheuer, wollte ich nicht retiriren, mannhaft zu bestehen. Kurz nachher wurde denn auch endlich unser Gering inhaftirt; der Proceß wurde ihm gemacht, und nach gehoͤriger Procedur wurd' er auch zum Galgen verdammt; mit ihm wurden mehrere Raͤuber eingezogen, welche wesentliche Wohlthat unser Publicum dem wuͤrdigen und wachsamen damaligen Amtmann jetzigen Kriegs- und Domaͤnen-Rath Tiemann in Minden zu verdanken hatte. Diese Nachricht schien Gerings Muth, dem Aeussern nach, niederzuschlagen, denn er war schon mehrmalen aus verschiedenen Gegenden dem Strange gluͤklich entwischt. Jnzwischen war er doch noch zu delicat, als am Galgen sterben zu wollen, der Vorwand war: der Suͤnder am Galgen sey verflucht; ein gemisdeuteter Spruch war ihm Veranlassung, denn er war reich an guten biblischen Spruͤchen. Gering hielt also um das Schwert an, auch dadurch Zeit zu gewinnen, sich von seinen starken Banden zu befreien, und die Mauer des Gefaͤngnisses mit Huͤlfe seines Spiesgesellen zu durchbrechen. Jn dieser Zwischenzeit, wo er denn auch seine Zeit zum Durchbrechen recht fleißig benutzte, besuchte

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[45/0045] rung am Galgen, der dicht an der Landstraße steht, und mir, der ich eben auf einer Reise begriffen war bei meiner Annaͤherung nach voͤllig gesunkenem Tage ein unerklaͤrbares Phaͤnomen wurden, zumal ich von der scheußlichen Scene nichts wuste, so daß ich alle meine Kurage zusammennehmen mußte, dies Abentheuer, wollte ich nicht retiriren, mannhaft zu bestehen. Kurz nachher wurde denn auch endlich unser Gering inhaftirt; der Proceß wurde ihm gemacht, und nach gehoͤriger Procedur wurd' er auch zum Galgen verdammt; mit ihm wurden mehrere Raͤuber eingezogen, welche wesentliche Wohlthat unser Publicum dem wuͤrdigen und wachsamen damaligen Amtmann jetzigen Kriegs- und Domaͤnen-Rath Tiemann in Minden zu verdanken hatte. Diese Nachricht schien Gerings Muth, dem Aeussern nach, niederzuschlagen, denn er war schon mehrmalen aus verschiedenen Gegenden dem Strange gluͤklich entwischt. Jnzwischen war er doch noch zu delicat, als am Galgen sterben zu wollen, der Vorwand war: der Suͤnder am Galgen sey verflucht; ein gemisdeuteter Spruch war ihm Veranlassung, denn er war reich an guten biblischen Spruͤchen. Gering hielt also um das Schwert an, auch dadurch Zeit zu gewinnen, sich von seinen starken Banden zu befreien, und die Mauer des Gefaͤngnisses mit Huͤlfe seines Spiesgesellen zu durchbrechen. Jn dieser Zwischenzeit, wo er denn auch seine Zeit zum Durchbrechen recht fleißig benutzte, besuchte

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/45>, abgerufen am 29.03.2024.