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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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gebohren, gezwungen durch Natur so zu handeln und zu seyn, als er handelt und ist. Seinen in den benachbarten Gemeinen bekannten Ruf kennet er vollkommen; nennt declamatorisch sehr oft seinen Haus- und Taufnamen, scheint den Effect davon zu seiner Aufblähung recht zu empfinden, sich als Lasterheld fühlend, gleich jenem Helde im Shakespear: ich selbst bin ganz allein ich selbst! So ein Urbild von Lasterhaftigkeit in Natura ist dieser Mensch kein Jdeal wie Shakespear sich bildete. Nur geehrt und geachtet will er durchaus bei allen Menschenclassen seyn; diesen Anspruch glaubt er durch seine Lasterrenommisterey erworben zu haben. Zwölf bis vierzehn Jahre mag dieser Patient in diesem Kreise seiner unheilbaren Seelenkrankheit herumgetaumelt seyn, der vielen Menschen ein verderbliches Exempel ist, wie die verherende Pest, vieler Menschen Fall geworden, und noch mehrern eine tägliche Plage ist, sich selbst aber ein fressendes Feuer, das sich selbst verzehret.

Weder militär- noch bürgerliche Züchtigungen, die oft fühlbar genug waren, haben ihn heilen können; selbst seine jetzige Armuth kann ihn nicht zähmen, nur fällt ihm jezt manche Lasterkost zu kostbar, wodurch er jedoch noch ärger wird. Dieser Mensch ist offenbar ein unheilbarer Seelenkranker, dessen ganze Seelenkrankheit in ihrem Umfange ich nicht zu beschreiben im Stande bin. Alle moralische Mittel zu seiner Besserung sind wirklich bereits


gebohren, gezwungen durch Natur so zu handeln und zu seyn, als er handelt und ist. Seinen in den benachbarten Gemeinen bekannten Ruf kennet er vollkommen; nennt declamatorisch sehr oft seinen Haus- und Taufnamen, scheint den Effect davon zu seiner Aufblaͤhung recht zu empfinden, sich als Lasterheld fuͤhlend, gleich jenem Helde im Shakespear: ich selbst bin ganz allein ich selbst! So ein Urbild von Lasterhaftigkeit in Natura ist dieser Mensch kein Jdeal wie Shakespear sich bildete. Nur geehrt und geachtet will er durchaus bei allen Menschenclassen seyn; diesen Anspruch glaubt er durch seine Lasterrenommisterey erworben zu haben. Zwoͤlf bis vierzehn Jahre mag dieser Patient in diesem Kreise seiner unheilbaren Seelenkrankheit herumgetaumelt seyn, der vielen Menschen ein verderbliches Exempel ist, wie die verherende Pest, vieler Menschen Fall geworden, und noch mehrern eine taͤgliche Plage ist, sich selbst aber ein fressendes Feuer, das sich selbst verzehret.

Weder militaͤr- noch buͤrgerliche Zuͤchtigungen, die oft fuͤhlbar genug waren, haben ihn heilen koͤnnen; selbst seine jetzige Armuth kann ihn nicht zaͤhmen, nur faͤllt ihm jezt manche Lasterkost zu kostbar, wodurch er jedoch noch aͤrger wird. Dieser Mensch ist offenbar ein unheilbarer Seelenkranker, dessen ganze Seelenkrankheit in ihrem Umfange ich nicht zu beschreiben im Stande bin. Alle moralische Mittel zu seiner Besserung sind wirklich bereits

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[36/0036] gebohren, gezwungen durch Natur so zu handeln und zu seyn, als er handelt und ist. Seinen in den benachbarten Gemeinen bekannten Ruf kennet er vollkommen; nennt declamatorisch sehr oft seinen Haus- und Taufnamen, scheint den Effect davon zu seiner Aufblaͤhung recht zu empfinden, sich als Lasterheld fuͤhlend, gleich jenem Helde im Shakespear: ich selbst bin ganz allein ich selbst! So ein Urbild von Lasterhaftigkeit in Natura ist dieser Mensch kein Jdeal wie Shakespear sich bildete. Nur geehrt und geachtet will er durchaus bei allen Menschenclassen seyn; diesen Anspruch glaubt er durch seine Lasterrenommisterey erworben zu haben. Zwoͤlf bis vierzehn Jahre mag dieser Patient in diesem Kreise seiner unheilbaren Seelenkrankheit herumgetaumelt seyn, der vielen Menschen ein verderbliches Exempel ist, wie die verherende Pest, vieler Menschen Fall geworden, und noch mehrern eine taͤgliche Plage ist, sich selbst aber ein fressendes Feuer, das sich selbst verzehret. Weder militaͤr- noch buͤrgerliche Zuͤchtigungen, die oft fuͤhlbar genug waren, haben ihn heilen koͤnnen; selbst seine jetzige Armuth kann ihn nicht zaͤhmen, nur faͤllt ihm jezt manche Lasterkost zu kostbar, wodurch er jedoch noch aͤrger wird. Dieser Mensch ist offenbar ein unheilbarer Seelenkranker, dessen ganze Seelenkrankheit in ihrem Umfange ich nicht zu beschreiben im Stande bin. Alle moralische Mittel zu seiner Besserung sind wirklich bereits

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  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/36>, abgerufen am 24.04.2024.