Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.
Daß die Vorstellungen von Figuren und Größen in unsrer Kindheit, wie der Herr Verfasser von sich erzählt, gemeiniglich die lebhaftesten sind, und am längsten fortdauren, ergiebt sich nicht nur daraus, daß wir uns anfangs vermöge der Natur unsers Denkens gar nichts ohne Raum und Ausdehnung vorstellen können, und an diese, obgleich dunkeln, Begriffe gleichsam jede Operation der Seele, wie an einem Stammbaum anhängen; theils auch daraus, weil an sich schon die Gesichtsvorstellungen einen höhern Grad der Lebhaftigkeit vor andern haben, indem uns die übrigen Sinne noch nicht so sehr zerstreuen. Vielleicht liegt auch selbst in der Natur des Lichtsein Grund, warum uns sichtbare Gegenstände tiefer eingedrückt werden; so wie in der originellen Beschaffenheit der Gesichtsfiebern. Zu den Eindrücken, die am längsten aus unsrer Kindheit in der Seele fortexistiren, gehören unstreitig auch die der Farben, worüber man einen merkwürdigen Aufsatz im 2ten Stück dieses Magazins 1. Band. S. 82 nachlesen kann, was unstreitig daher rührt, weil die Eindrücke von Farben in der Seele eine sehr
Daß die Vorstellungen von Figuren und Groͤßen in unsrer Kindheit, wie der Herr Verfasser von sich erzaͤhlt, gemeiniglich die lebhaftesten sind, und am laͤngsten fortdauren, ergiebt sich nicht nur daraus, daß wir uns anfangs vermoͤge der Natur unsers Denkens gar nichts ohne Raum und Ausdehnung vorstellen koͤnnen, und an diese, obgleich dunkeln, Begriffe gleichsam jede Operation der Seele, wie an einem Stammbaum anhaͤngen; theils auch daraus, weil an sich schon die Gesichtsvorstellungen einen hoͤhern Grad der Lebhaftigkeit vor andern haben, indem uns die uͤbrigen Sinne noch nicht so sehr zerstreuen. Vielleicht liegt auch selbst in der Natur des Lichtsein Grund, warum uns sichtbare Gegenstaͤnde tiefer eingedruͤckt werden; so wie in der originellen Beschaffenheit der Gesichtsfiebern. Zu den Eindruͤcken, die am laͤngsten aus unsrer Kindheit in der Seele fortexistiren, gehoͤren unstreitig auch die der Farben, woruͤber man einen merkwuͤrdigen Aufsatz im 2ten Stuͤck dieses Magazins 1. Band. S. 82 nachlesen kann, was unstreitig daher ruͤhrt, weil die Eindruͤcke von Farben in der Seele eine sehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0021" n="19"/><lb/> Zustand der <hi rendition="#b">Organe</hi> harmoniren, weil es bekannt ist, daß Empfindungen bald laͤnger, bald weniger fortdauren, je nachdem unser Nervensystem so und nicht anders gestimmt ist.</p> <p>Daß die Vorstellungen von Figuren und Groͤßen in unsrer Kindheit, wie der Herr Verfasser von sich erzaͤhlt, gemeiniglich die lebhaftesten sind, und am laͤngsten fortdauren, ergiebt sich nicht nur daraus, daß wir uns anfangs vermoͤge der Natur unsers Denkens gar nichts ohne <hi rendition="#b">Raum und Ausdehnung</hi> vorstellen koͤnnen, und an diese, obgleich dunkeln, Begriffe gleichsam jede Operation der Seele, wie an einem Stammbaum anhaͤngen; theils auch daraus, weil an sich schon die Gesichtsvorstellungen einen <hi rendition="#b">hoͤhern</hi> Grad der Lebhaftigkeit vor andern haben, indem uns die uͤbrigen Sinne noch nicht so sehr zerstreuen. Vielleicht liegt auch selbst in der Natur des <hi rendition="#b">Lichts</hi>ein <choice><corr>Grund,</corr><sic>Grad,</sic></choice> warum uns sichtbare Gegenstaͤnde tiefer eingedruͤckt werden; so wie in der originellen Beschaffenheit der Gesichtsfiebern.</p> <p>Zu den Eindruͤcken, die am laͤngsten aus unsrer Kindheit in der Seele fortexistiren, gehoͤren unstreitig auch die der <hi rendition="#b">Farben,</hi> woruͤber man einen merkwuͤrdigen Aufsatz im 2ten Stuͤck dieses Magazins 1. Band. S. 82 nachlesen kann, <hi rendition="#b">was unstreitig daher ruͤhrt, weil die Eindruͤcke von Farben in der Seele eine sehr<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0021]
Zustand der Organe harmoniren, weil es bekannt ist, daß Empfindungen bald laͤnger, bald weniger fortdauren, je nachdem unser Nervensystem so und nicht anders gestimmt ist.
Daß die Vorstellungen von Figuren und Groͤßen in unsrer Kindheit, wie der Herr Verfasser von sich erzaͤhlt, gemeiniglich die lebhaftesten sind, und am laͤngsten fortdauren, ergiebt sich nicht nur daraus, daß wir uns anfangs vermoͤge der Natur unsers Denkens gar nichts ohne Raum und Ausdehnung vorstellen koͤnnen, und an diese, obgleich dunkeln, Begriffe gleichsam jede Operation der Seele, wie an einem Stammbaum anhaͤngen; theils auch daraus, weil an sich schon die Gesichtsvorstellungen einen hoͤhern Grad der Lebhaftigkeit vor andern haben, indem uns die uͤbrigen Sinne noch nicht so sehr zerstreuen. Vielleicht liegt auch selbst in der Natur des Lichtsein Grund, warum uns sichtbare Gegenstaͤnde tiefer eingedruͤckt werden; so wie in der originellen Beschaffenheit der Gesichtsfiebern.
Zu den Eindruͤcken, die am laͤngsten aus unsrer Kindheit in der Seele fortexistiren, gehoͤren unstreitig auch die der Farben, woruͤber man einen merkwuͤrdigen Aufsatz im 2ten Stuͤck dieses Magazins 1. Band. S. 82 nachlesen kann, was unstreitig daher ruͤhrt, weil die Eindruͤcke von Farben in der Seele eine sehr
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/21>, abgerufen am 27.07.2024. |