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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

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sie bei allen Talenten des Geistes und Herzens sehr zur Veränderlichkeit geneigt sind; oder wenn wir voraussezen können, daß sich unsere Freunde durch neue, vielleicht glänzendere Bekanntschaften, vielleicht selbst wider ihren Willen, etwas von uns entfernen werden.

Die Eitelkeit des menschlichen Herzens zeigt sich hier oft in den seltsamsten und manigfaltigsten Gestalten. Wir wollen einen Freund allein besizen, weil er desto mehr Glanz auf uns wirft, oder weil wir dadurch einen größern Einfluß auf andre Menschen bekommen, oder weil wir ihn gern allein beherrschen mögen, -- oder weil wir auch wollen, daß er uns allein sein Glück, seine Zufriedenheit schuldig seyn soll. Wir sehen voraus, daß sein Herz sich theilen muß, wenn andre sich für ihn freundschaftlich interessiren, und uns wohl gar den vorher behaupteten Rang der Gefälligkeit und Wohlthätigkeit bei ihm ablaufen. Ein eifersüchtiges Jnteresse ist dann fast immer sichtbar, wenn unser Freund viel Wohlthaten von uns genossen hat. Wir möchten gern das Andenken an dieselben in ihm recht lebhaft erhalten, und ihn ganz zum stillen und alleinigen Verehrer unserer Zärtlichkeit gegen ihn machen, -- was er aber nicht mehr seyn kann, wenn andre zugleich mit uns sein Herz zu gewinnen suchen. Selbst dieß, daß unser Freund durch mehrere freundschaftliche Hände geleitet wird, kann uns oft mißtrauisch gegen ihn machen, weil wir


sie bei allen Talenten des Geistes und Herzens sehr zur Veraͤnderlichkeit geneigt sind; oder wenn wir voraussezen koͤnnen, daß sich unsere Freunde durch neue, vielleicht glaͤnzendere Bekanntschaften, vielleicht selbst wider ihren Willen, etwas von uns entfernen werden.

Die Eitelkeit des menschlichen Herzens zeigt sich hier oft in den seltsamsten und manigfaltigsten Gestalten. Wir wollen einen Freund allein besizen, weil er desto mehr Glanz auf uns wirft, oder weil wir dadurch einen groͤßern Einfluß auf andre Menschen bekommen, oder weil wir ihn gern allein beherrschen moͤgen, — oder weil wir auch wollen, daß er uns allein sein Gluͤck, seine Zufriedenheit schuldig seyn soll. Wir sehen voraus, daß sein Herz sich theilen muß, wenn andre sich fuͤr ihn freundschaftlich interessiren, und uns wohl gar den vorher behaupteten Rang der Gefaͤlligkeit und Wohlthaͤtigkeit bei ihm ablaufen. Ein eifersuͤchtiges Jnteresse ist dann fast immer sichtbar, wenn unser Freund viel Wohlthaten von uns genossen hat. Wir moͤchten gern das Andenken an dieselben in ihm recht lebhaft erhalten, und ihn ganz zum stillen und alleinigen Verehrer unserer Zaͤrtlichkeit gegen ihn machen, — was er aber nicht mehr seyn kann, wenn andre zugleich mit uns sein Herz zu gewinnen suchen. Selbst dieß, daß unser Freund durch mehrere freundschaftliche Haͤnde geleitet wird, kann uns oft mißtrauisch gegen ihn machen, weil wir

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[74/0074] sie bei allen Talenten des Geistes und Herzens sehr zur Veraͤnderlichkeit geneigt sind; oder wenn wir voraussezen koͤnnen, daß sich unsere Freunde durch neue, vielleicht glaͤnzendere Bekanntschaften, vielleicht selbst wider ihren Willen, etwas von uns entfernen werden. Die Eitelkeit des menschlichen Herzens zeigt sich hier oft in den seltsamsten und manigfaltigsten Gestalten. Wir wollen einen Freund allein besizen, weil er desto mehr Glanz auf uns wirft, oder weil wir dadurch einen groͤßern Einfluß auf andre Menschen bekommen, oder weil wir ihn gern allein beherrschen moͤgen, — oder weil wir auch wollen, daß er uns allein sein Gluͤck, seine Zufriedenheit schuldig seyn soll. Wir sehen voraus, daß sein Herz sich theilen muß, wenn andre sich fuͤr ihn freundschaftlich interessiren, und uns wohl gar den vorher behaupteten Rang der Gefaͤlligkeit und Wohlthaͤtigkeit bei ihm ablaufen. Ein eifersuͤchtiges Jnteresse ist dann fast immer sichtbar, wenn unser Freund viel Wohlthaten von uns genossen hat. Wir moͤchten gern das Andenken an dieselben in ihm recht lebhaft erhalten, und ihn ganz zum stillen und alleinigen Verehrer unserer Zaͤrtlichkeit gegen ihn machen, — was er aber nicht mehr seyn kann, wenn andre zugleich mit uns sein Herz zu gewinnen suchen. Selbst dieß, daß unser Freund durch mehrere freundschaftliche Haͤnde geleitet wird, kann uns oft mißtrauisch gegen ihn machen, weil wir

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/74>, abgerufen am 26.11.2024.