Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.
Den folgenden Mittwoch am monatlichen Bettage predigte er noch, wiewohl mit solcher Beklemmung, daß die Herzensangst ihm Todesschweiß auf der Stirn auspreßte. Das Lied aus dem Marburger reformirten Gesangbuche: Jesus süßes Licht der Gnaden ff. das er damahls singen ließ, zeugte von seiner traurigen Gemüthsverfassung. Es war das leztemal, daß er die Canzel betrat, denn von nun an blieben stets zwei Nachbarsleute um ihn, die ihn beobachteten. Zu diesen sprach er am Tage vor seinem Tode: Jhr lieben Leute! Bei ... auf der Brücke ist der Rhein so schön tief, bringt mich doch dahin, daß ich mich hinabstürzen und mein Leben enden kann, -- oder wenn es euch zu weit ist, so grabt eine Grube, es ist einerlei und scharrt mich ein, es ist da auch kühl! Donnerstags Nachts den 7ten Junii brachte man ihn zu Bette, schloß die beiden Thüren, die zur Schlafkammer führten zu, und die Wächter blieben in der daranstoßenden Stube. Kaum sahe sich der Unglükliche von Menschen frei, so sprang er aus dem Bette, verriegelte die Thüren von innen, und sprang durch das eröfnete
Den folgenden Mittwoch am monatlichen Bettage predigte er noch, wiewohl mit solcher Beklemmung, daß die Herzensangst ihm Todesschweiß auf der Stirn auspreßte. Das Lied aus dem Marburger reformirten Gesangbuche: Jesus suͤßes Licht der Gnaden ff. das er damahls singen ließ, zeugte von seiner traurigen Gemuͤthsverfassung. Es war das leztemal, daß er die Canzel betrat, denn von nun an blieben stets zwei Nachbarsleute um ihn, die ihn beobachteten. Zu diesen sprach er am Tage vor seinem Tode: Jhr lieben Leute! Bei ... auf der Bruͤcke ist der Rhein so schoͤn tief, bringt mich doch dahin, daß ich mich hinabstuͤrzen und mein Leben enden kann, — oder wenn es euch zu weit ist, so grabt eine Grube, es ist einerlei und scharrt mich ein, es ist da auch kuͤhl! Donnerstags Nachts den 7ten Junii brachte man ihn zu Bette, schloß die beiden Thuͤren, die zur Schlafkammer fuͤhrten zu, und die Waͤchter blieben in der daranstoßenden Stube. Kaum sahe sich der Ungluͤkliche von Menschen frei, so sprang er aus dem Bette, verriegelte die Thuͤren von innen, und sprang durch das eroͤfnete <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0023" n="23"/><lb/> sich, daß sie die Augen aufschlug, und sagte dann zu ihr: Ey Schwester, ich habe nicht geglaubt, daß die Nachricht, die ich dir gab, dich im geringsten alteriren koͤnnte! — Fasse dich, ich bitte, gieb dich zufrieden — es ist nun einmal nicht anders, ich muß sterben!</p> <p>Den folgenden Mittwoch am monatlichen Bettage predigte er noch, wiewohl mit solcher Beklemmung, daß die Herzensangst ihm Todesschweiß auf der Stirn auspreßte. Das Lied aus dem Marburger reformirten Gesangbuche: Jesus suͤßes Licht der <choice><corr>Gnaden ff.</corr><sic>Gnaden. ff</sic></choice> das er damahls singen ließ, zeugte von seiner traurigen Gemuͤthsverfassung. Es war das leztemal, daß er die Canzel betrat, denn von nun an blieben stets zwei Nachbarsleute um ihn, die ihn beobachteten. Zu diesen sprach er am Tage vor seinem Tode: Jhr lieben Leute! Bei ... auf der Bruͤcke ist der Rhein so schoͤn tief, bringt mich doch dahin, daß ich mich hinabstuͤrzen und mein Leben enden kann, — oder wenn es euch zu weit ist, so grabt eine Grube, es ist einerlei und scharrt mich ein, es ist da auch kuͤhl! Donnerstags Nachts den 7ten Junii brachte man ihn zu Bette, schloß die beiden Thuͤren, die zur Schlafkammer fuͤhrten zu, und die Waͤchter blieben in der daranstoßenden Stube.</p> <p>Kaum sahe sich der Ungluͤkliche von Menschen frei, so sprang er aus dem Bette, verriegelte die Thuͤren von innen, und sprang durch das eroͤfnete<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0023]
sich, daß sie die Augen aufschlug, und sagte dann zu ihr: Ey Schwester, ich habe nicht geglaubt, daß die Nachricht, die ich dir gab, dich im geringsten alteriren koͤnnte! — Fasse dich, ich bitte, gieb dich zufrieden — es ist nun einmal nicht anders, ich muß sterben!
Den folgenden Mittwoch am monatlichen Bettage predigte er noch, wiewohl mit solcher Beklemmung, daß die Herzensangst ihm Todesschweiß auf der Stirn auspreßte. Das Lied aus dem Marburger reformirten Gesangbuche: Jesus suͤßes Licht der Gnaden ff. das er damahls singen ließ, zeugte von seiner traurigen Gemuͤthsverfassung. Es war das leztemal, daß er die Canzel betrat, denn von nun an blieben stets zwei Nachbarsleute um ihn, die ihn beobachteten. Zu diesen sprach er am Tage vor seinem Tode: Jhr lieben Leute! Bei ... auf der Bruͤcke ist der Rhein so schoͤn tief, bringt mich doch dahin, daß ich mich hinabstuͤrzen und mein Leben enden kann, — oder wenn es euch zu weit ist, so grabt eine Grube, es ist einerlei und scharrt mich ein, es ist da auch kuͤhl! Donnerstags Nachts den 7ten Junii brachte man ihn zu Bette, schloß die beiden Thuͤren, die zur Schlafkammer fuͤhrten zu, und die Waͤchter blieben in der daranstoßenden Stube.
Kaum sahe sich der Ungluͤkliche von Menschen frei, so sprang er aus dem Bette, verriegelte die Thuͤren von innen, und sprang durch das eroͤfnete
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/23>, abgerufen am 16.02.2025. |