Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


fasser es nicht Schwindel nennen will. -- Allein aus so frühen Jahren des Lebens kann man sich selten noch mit Gewißheit besinnen, in welchem Nebenzustande die Seele sich bei gewissen heftigen Empfindungen befunden habe.

"Einige Jahre darauf, heißt es, begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Nächte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte. Dies waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache, wegen ihrer Ungewöhnlichkeit, wegen der bloß dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen des damaligen Mangels an Beobachtungsgeist über mich selbst, nicht auslassen kann; es ging mit mir alles wie in einer Scheibe herum, dazu gesellten sich schöpferische Vorstellungen von unendlichen Millionen Zeiten und Räumen, die ich zu durchwandern hatte. Der Gedanke der Unmöglichkeit, je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufhörlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden (und dies alles im wachenden Zustande), verursachte in mir ausserordentliche Bänglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und ängstlichem Zurückwandern in die Stube, wo mein Vater gewöhnlich noch am Schreibtische saß, jenem Schrecken zu entgehn." -- Alles dies sind Phänomene eines ängstlichen Schwindels, welcher oft die son-


fasser es nicht Schwindel nennen will. — Allein aus so fruͤhen Jahren des Lebens kann man sich selten noch mit Gewißheit besinnen, in welchem Nebenzustande die Seele sich bei gewissen heftigen Empfindungen befunden habe.

»Einige Jahre darauf, heißt es, begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Naͤchte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte. Dies waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache, wegen ihrer Ungewoͤhnlichkeit, wegen der bloß dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen des damaligen Mangels an Beobachtungsgeist uͤber mich selbst, nicht auslassen kann; es ging mit mir alles wie in einer Scheibe herum, dazu gesellten sich schoͤpferische Vorstellungen von unendlichen Millionen Zeiten und Raͤumen, die ich zu durchwandern hatte. Der Gedanke der Unmoͤglichkeit, je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufhoͤrlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden (und dies alles im wachenden Zustande), verursachte in mir ausserordentliche Baͤnglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und aͤngstlichem Zuruͤckwandern in die Stube, wo mein Vater gewoͤhnlich noch am Schreibtische saß, jenem Schrecken zu entgehn.« — Alles dies sind Phaͤnomene eines aͤngstlichen Schwindels, welcher oft die son-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0008" n="8"/><lb/>
fasser es nicht Schwindel nennen                         will. &#x2014; Allein aus so fru&#x0364;hen Jahren des Lebens kann man sich selten noch mit                         Gewißheit besinnen, in welchem Nebenzustande die Seele sich bei gewissen                         heftigen Empfindungen befunden habe.</p>
          <p>»Einige Jahre darauf, heißt es, begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander                         fast alle Na&#x0364;chte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz                         sonderbare Auftritte hatte. Dies waren die, von denen ich mich in keiner                         menschlichen Sprache, wegen ihrer Ungewo&#x0364;hnlichkeit, wegen der bloß dunkeln                         Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen des damaligen Mangels                         an Beobachtungsgeist u&#x0364;ber mich selbst, nicht auslassen kann; es ging mit mir                         alles wie in einer Scheibe herum, dazu gesellten sich scho&#x0364;pferische                         Vorstellungen von unendlichen Millionen Zeiten und Ra&#x0364;umen, die ich zu                         durchwandern hatte. Der Gedanke der Unmo&#x0364;glichkeit, je diese Reise, dieses                         Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufho&#x0364;rlichen Kreise vor mir sah,                         zu vollenden (und dies alles im wachenden Zustande), verursachte in mir                         ausserordentliche Ba&#x0364;nglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte,                         mit einem Satz aus dem Bette und a&#x0364;ngstlichem Zuru&#x0364;ckwandern in die Stube, wo                         mein Vater gewo&#x0364;hnlich noch am Schreibtische saß, jenem Schrecken zu                         entgehn.« &#x2014; Alles dies sind Pha&#x0364;nomene eines a&#x0364;ngstlichen <hi rendition="#b">Schwindels,</hi> welcher oft die son-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0008] fasser es nicht Schwindel nennen will. — Allein aus so fruͤhen Jahren des Lebens kann man sich selten noch mit Gewißheit besinnen, in welchem Nebenzustande die Seele sich bei gewissen heftigen Empfindungen befunden habe. »Einige Jahre darauf, heißt es, begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Naͤchte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte. Dies waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache, wegen ihrer Ungewoͤhnlichkeit, wegen der bloß dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen des damaligen Mangels an Beobachtungsgeist uͤber mich selbst, nicht auslassen kann; es ging mit mir alles wie in einer Scheibe herum, dazu gesellten sich schoͤpferische Vorstellungen von unendlichen Millionen Zeiten und Raͤumen, die ich zu durchwandern hatte. Der Gedanke der Unmoͤglichkeit, je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufhoͤrlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden (und dies alles im wachenden Zustande), verursachte in mir ausserordentliche Baͤnglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und aͤngstlichem Zuruͤckwandern in die Stube, wo mein Vater gewoͤhnlich noch am Schreibtische saß, jenem Schrecken zu entgehn.« — Alles dies sind Phaͤnomene eines aͤngstlichen Schwindels, welcher oft die son-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/8
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/8>, abgerufen am 18.12.2024.