wirklich zusammen, als jene oft eben das vermittelst der Einbildungskraft zufälligerweise herausgebracht hat, was in dieser ein Werk der nachdenkenden Vernunft ist," fielen mir Kants Träume eines Geistersehers ein, in Beziehung auf seine jetzigen Schriften. Kant realisirt jetzt durch ernste, kalte Philosophie seine Phantasieen und Träume; welches um so begreiflicher ist, da in jenem Buche doch ein Philosoph phantasirt hat, und diese sollen ja wohl öfters im Traume besser als im Wachen räsonniren.Vielleicht wahrer, inniger, origineller! Ob ich gleich kein Philosoph bin, so hab' ich doch oft die erhabensten, größten und befriedigendsten Blicke und Uebersichten im Schlafe -- vielleicht sind sie aber nur alsdann im Verhältniß zu der schwächern und mattern Denkkraft größer, erhabner und befriedigender: denn dasjenige, dessen ich mich am Morgen noch deutlich davon erinnere, hat doch bei weitem diesen Werth nicht, den ich am Abend vorher zu fühlen glaubte, vielleicht weil ich früh mehr als Abends verlangte.
Beobachtungen über meinen Charakter: Wenig feine Empfindungen -- wenig Rührung -- intensiv und extensiv schwache Phantasie -- schweres Denken; mühsames Schreiben -- abstractes und subtiles Denken, zuweilen Spitzfindigkeit -- Unglaube und Zweifelsucht -- Kälte, langsame Prüfung, Furcht vor Uebereilung und Schwärme-
wirklich zusammen, als jene oft eben das vermittelst der Einbildungskraft zufaͤlligerweise herausgebracht hat, was in dieser ein Werk der nachdenkenden Vernunft ist,« fielen mir Kants Traͤume eines Geistersehers ein, in Beziehung auf seine jetzigen Schriften. Kant realisirt jetzt durch ernste, kalte Philosophie seine Phantasieen und Traͤume; welches um so begreiflicher ist, da in jenem Buche doch ein Philosoph phantasirt hat, und diese sollen ja wohl oͤfters im Traume besser als im Wachen raͤsonniren.Vielleicht wahrer, inniger, origineller! Ob ich gleich kein Philosoph bin, so hab' ich doch oft die erhabensten, groͤßten und befriedigendsten Blicke und Uebersichten im Schlafe — vielleicht sind sie aber nur alsdann im Verhaͤltniß zu der schwaͤchern und mattern Denkkraft groͤßer, erhabner und befriedigender: denn dasjenige, dessen ich mich am Morgen noch deutlich davon erinnere, hat doch bei weitem diesen Werth nicht, den ich am Abend vorher zu fuͤhlen glaubte, vielleicht weil ich fruͤh mehr als Abends verlangte.
Beobachtungen uͤber meinen Charakter: Wenig feine Empfindungen — wenig Ruͤhrung — intensiv und extensiv schwache Phantasie — schweres Denken; muͤhsames Schreiben — abstractes und subtiles Denken, zuweilen Spitzfindigkeit — Unglaube und Zweifelsucht — Kaͤlte, langsame Pruͤfung, Furcht vor Uebereilung und Schwaͤrme-
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wirklich zusammen, als jene oft eben das vermittelst der Einbildungskraft zufaͤlligerweise herausgebracht hat, was in dieser ein Werk der nachdenkenden Vernunft ist,« fielen mir <hirendition="#b">Kants</hi> Traͤume eines Geistersehers ein, in Beziehung auf seine jetzigen Schriften. Kant realisirt jetzt durch ernste, kalte Philosophie seine Phantasieen und Traͤume; welches um so begreiflicher ist, da in jenem Buche doch ein Philosoph phantasirt hat, und diese sollen ja wohl oͤfters im Traume besser als im Wachen raͤsonniren.Vielleicht wahrer, inniger, origineller! Ob ich gleich kein Philosoph bin, so hab' ich doch oft die erhabensten, groͤßten und befriedigendsten Blicke und Uebersichten im Schlafe — vielleicht sind sie aber nur alsdann im Verhaͤltniß zu der schwaͤchern und mattern Denkkraft groͤßer, erhabner und befriedigender: denn dasjenige, dessen ich mich am Morgen noch deutlich davon erinnere, hat doch bei weitem diesen Werth nicht, den ich am Abend vorher zu fuͤhlen glaubte, vielleicht weil ich fruͤh mehr als Abends verlangte.</p><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Beobachtungen uͤber meinen Charakter: Wenig feine Empfindungen — wenig Ruͤhrung — intensiv und extensiv schwache Phantasie — schweres Denken; muͤhsames Schreiben — abstractes und subtiles Denken, zuweilen Spitzfindigkeit — Unglaube und Zweifelsucht — Kaͤlte, langsame Pruͤfung, Furcht vor Uebereilung und Schwaͤrme-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
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wirklich zusammen, als jene oft eben das vermittelst der Einbildungskraft zufaͤlligerweise herausgebracht hat, was in dieser ein Werk der nachdenkenden Vernunft ist,« fielen mir Kants Traͤume eines Geistersehers ein, in Beziehung auf seine jetzigen Schriften. Kant realisirt jetzt durch ernste, kalte Philosophie seine Phantasieen und Traͤume; welches um so begreiflicher ist, da in jenem Buche doch ein Philosoph phantasirt hat, und diese sollen ja wohl oͤfters im Traume besser als im Wachen raͤsonniren.Vielleicht wahrer, inniger, origineller! Ob ich gleich kein Philosoph bin, so hab' ich doch oft die erhabensten, groͤßten und befriedigendsten Blicke und Uebersichten im Schlafe — vielleicht sind sie aber nur alsdann im Verhaͤltniß zu der schwaͤchern und mattern Denkkraft groͤßer, erhabner und befriedigender: denn dasjenige, dessen ich mich am Morgen noch deutlich davon erinnere, hat doch bei weitem diesen Werth nicht, den ich am Abend vorher zu fuͤhlen glaubte, vielleicht weil ich fruͤh mehr als Abends verlangte.
Beobachtungen uͤber meinen Charakter: Wenig feine Empfindungen — wenig Ruͤhrung — intensiv und extensiv schwache Phantasie — schweres Denken; muͤhsames Schreiben — abstractes und subtiles Denken, zuweilen Spitzfindigkeit — Unglaube und Zweifelsucht — Kaͤlte, langsame Pruͤfung, Furcht vor Uebereilung und Schwaͤrme-
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/56>, abgerufen am 16.02.2025.
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