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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.

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Seele
vor; theils weil die wenigsten Menschen -- so sehr es auch andre bemerken, an ihrer Seele krank zu seyn glauben, und also sich gegen die ihnen angebotenen Mittel sträuben; theils auch, weil die wenigsten Seelenärzte ihre Patienten mit weiser Schonung zu heilen wissen, sondern nach einer Methode verfahren, die den Schwächen jener unangemessen ist, und die Wunden mehr aufreißt, als heilt.

Welcher Menschenfreund wird sich nicht betrüben, wenn er um sich herschaut, und bemerkt, daß die meisten Leiden, die die Menschheit drücken, von uns selbst herrühren, daß ein Theil derselben sich durch einen unersättlichen Ehrgeitz, durch eine traurige Habsucht nach Titeln, Ehrenstellen, Belohnungen höchst unglücklich macht, und oft seine heiligsten Pflichten jenen Leidenschaften, die eine gesunde Philosophie nicht billigen kann, aufopfert; daß ein andrer Theil von Menschen durch einen überspannten Grad der Sinnlichkeit vor der Zeit verwelkt, und alle Kraft in Thätigkeit, allen Einfluß in's Beste der Gesellschaft durch einen erschlafften Körper, durch einen noch erschlafftern Geist verliert; daß wieder andere durch eine giftige Verläumdungssucht, durch einen unauslöschlichen Hang zum Betrügen und die Wahrheit zu verstecken, ihr Glück untergraben, und die Zufriedenheit vieler andern vielleicht auf immer stören; daß überhaupt die Unmäßigkeit der Leidenschaften und das aufgehobene


Seele
vor; theils weil die wenigsten Menschen — so sehr es auch andre bemerken, an ihrer Seele krank zu seyn glauben, und also sich gegen die ihnen angebotenen Mittel straͤuben; theils auch, weil die wenigsten Seelenaͤrzte ihre Patienten mit weiser Schonung zu heilen wissen, sondern nach einer Methode verfahren, die den Schwaͤchen jener unangemessen ist, und die Wunden mehr aufreißt, als heilt.

Welcher Menschenfreund wird sich nicht betruͤben, wenn er um sich herschaut, und bemerkt, daß die meisten Leiden, die die Menschheit druͤcken, von uns selbst herruͤhren, daß ein Theil derselben sich durch einen unersaͤttlichen Ehrgeitz, durch eine traurige Habsucht nach Titeln, Ehrenstellen, Belohnungen hoͤchst ungluͤcklich macht, und oft seine heiligsten Pflichten jenen Leidenschaften, die eine gesunde Philosophie nicht billigen kann, aufopfert; daß ein andrer Theil von Menschen durch einen uͤberspannten Grad der Sinnlichkeit vor der Zeit verwelkt, und alle Kraft in Thaͤtigkeit, allen Einfluß in's Beste der Gesellschaft durch einen erschlafften Koͤrper, durch einen noch erschlafftern Geist verliert; daß wieder andere durch eine giftige Verlaͤumdungssucht, durch einen unausloͤschlichen Hang zum Betruͤgen und die Wahrheit zu verstecken, ihr Gluͤck untergraben, und die Zufriedenheit vieler andern vielleicht auf immer stoͤren; daß uͤberhaupt die Unmaͤßigkeit der Leidenschaften und das aufgehobene

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[51/0051] Seele vor; theils weil die wenigsten Menschen — so sehr es auch andre bemerken, an ihrer Seele krank zu seyn glauben, und also sich gegen die ihnen angebotenen Mittel straͤuben; theils auch, weil die wenigsten Seelenaͤrzte ihre Patienten mit weiser Schonung zu heilen wissen, sondern nach einer Methode verfahren, die den Schwaͤchen jener unangemessen ist, und die Wunden mehr aufreißt, als heilt. Welcher Menschenfreund wird sich nicht betruͤben, wenn er um sich herschaut, und bemerkt, daß die meisten Leiden, die die Menschheit druͤcken, von uns selbst herruͤhren, daß ein Theil derselben sich durch einen unersaͤttlichen Ehrgeitz, durch eine traurige Habsucht nach Titeln, Ehrenstellen, Belohnungen hoͤchst ungluͤcklich macht, und oft seine heiligsten Pflichten jenen Leidenschaften, die eine gesunde Philosophie nicht billigen kann, aufopfert; daß ein andrer Theil von Menschen durch einen uͤberspannten Grad der Sinnlichkeit vor der Zeit verwelkt, und alle Kraft in Thaͤtigkeit, allen Einfluß in's Beste der Gesellschaft durch einen erschlafften Koͤrper, durch einen noch erschlafftern Geist verliert; daß wieder andere durch eine giftige Verlaͤumdungssucht, durch einen unausloͤschlichen Hang zum Betruͤgen und die Wahrheit zu verstecken, ihr Gluͤck untergraben, und die Zufriedenheit vieler andern vielleicht auf immer stoͤren; daß uͤberhaupt die Unmaͤßigkeit der Leidenschaften und das aufgehobene

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/51>, abgerufen am 27.04.2024.