Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.
Den 18ten Nov. Die Würkungen der ehlichen Umarmung auf meine Gemüthsstimmung werden immer gefährlicher, beschwerlicher und sonderbarer. O hätte ich das Ehebette nie bestiegen, hätte ich sonderlich in frühern Jahren die Ausbrüche meiner sinnlichen Einbildungskraft zu verhindern gesucht: so würde ich vielleicht der gesundeste Mann von der Welt seyn, anstatt, daß ich jetzt täglich meinem Tode entgegen sehe! Die Sinnlichkeit überrascht mich auch jetzt noch, wenn ich gleich nicht will, wenn ich mit Gründen der Vernunft dagegen kämpfe. Gemeiniglich fühle ich mich einige Stunden nach einer ehlichen Liebespflicht nicht grade ermattet, und
Den 18ten Nov. Die Wuͤrkungen der ehlichen Umarmung auf meine Gemuͤthsstimmung werden immer gefaͤhrlicher, beschwerlicher und sonderbarer. O haͤtte ich das Ehebette nie bestiegen, haͤtte ich sonderlich in fruͤhern Jahren die Ausbruͤche meiner sinnlichen Einbildungskraft zu verhindern gesucht: so wuͤrde ich vielleicht der gesundeste Mann von der Welt seyn, anstatt, daß ich jetzt taͤglich meinem Tode entgegen sehe! Die Sinnlichkeit uͤberrascht mich auch jetzt noch, wenn ich gleich nicht will, wenn ich mit Gruͤnden der Vernunft dagegen kaͤmpfe. Gemeiniglich fuͤhle ich mich einige Stunden nach einer ehlichen Liebespflicht nicht grade ermattet, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0021" n="21"/><lb/> intimidiren, wenn er etwa einen Anschlag auf mein Leben gemacht haben sollte, mit einem heftigen Ton an: wie das vor uns liegende Staͤdtchen hiesse? Der Mann beantwortete meine Frage, ging voruͤber, und ich empfand eine herzliche Freude, daß der Mann mir nicht mehr hinterm Ruͤcken war. Jch hatte kurz vorher einen hohen Berg erstiegen, dadurch war wahrscheinlich mein Blut in eine heftige Bewegung gekommen, und die Bilder einer schwarzen Phantasie draͤngten sich dadurch um so viel staͤrker hervor. Heute Abend fand ich eine Neige Wasser in meinem Trinkglase stehen, ich vermuthete, daß Gift darin sey, und spuͤlte das Glas erst sorgfaͤltig aus, ob ich gleich wußte, daß ich die Neige Wasser selbst darin hatte stehn lassen.</p> <p>Den 18ten Nov. Die Wuͤrkungen der ehlichen Umarmung auf meine Gemuͤthsstimmung werden immer gefaͤhrlicher, beschwerlicher und sonderbarer. O haͤtte ich das Ehebette nie bestiegen, haͤtte ich sonderlich in fruͤhern Jahren die Ausbruͤche meiner sinnlichen Einbildungskraft zu verhindern gesucht: so wuͤrde ich vielleicht der gesundeste Mann von der Welt seyn, anstatt, daß ich jetzt taͤglich meinem Tode entgegen sehe! Die Sinnlichkeit uͤberrascht mich auch jetzt noch, wenn ich gleich nicht will, wenn ich mit Gruͤnden der Vernunft dagegen kaͤmpfe. Gemeiniglich fuͤhle ich mich einige Stunden nach einer ehlichen Liebespflicht nicht grade ermattet, und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0021]
intimidiren, wenn er etwa einen Anschlag auf mein Leben gemacht haben sollte, mit einem heftigen Ton an: wie das vor uns liegende Staͤdtchen hiesse? Der Mann beantwortete meine Frage, ging voruͤber, und ich empfand eine herzliche Freude, daß der Mann mir nicht mehr hinterm Ruͤcken war. Jch hatte kurz vorher einen hohen Berg erstiegen, dadurch war wahrscheinlich mein Blut in eine heftige Bewegung gekommen, und die Bilder einer schwarzen Phantasie draͤngten sich dadurch um so viel staͤrker hervor. Heute Abend fand ich eine Neige Wasser in meinem Trinkglase stehen, ich vermuthete, daß Gift darin sey, und spuͤlte das Glas erst sorgfaͤltig aus, ob ich gleich wußte, daß ich die Neige Wasser selbst darin hatte stehn lassen.
Den 18ten Nov. Die Wuͤrkungen der ehlichen Umarmung auf meine Gemuͤthsstimmung werden immer gefaͤhrlicher, beschwerlicher und sonderbarer. O haͤtte ich das Ehebette nie bestiegen, haͤtte ich sonderlich in fruͤhern Jahren die Ausbruͤche meiner sinnlichen Einbildungskraft zu verhindern gesucht: so wuͤrde ich vielleicht der gesundeste Mann von der Welt seyn, anstatt, daß ich jetzt taͤglich meinem Tode entgegen sehe! Die Sinnlichkeit uͤberrascht mich auch jetzt noch, wenn ich gleich nicht will, wenn ich mit Gruͤnden der Vernunft dagegen kaͤmpfe. Gemeiniglich fuͤhle ich mich einige Stunden nach einer ehlichen Liebespflicht nicht grade ermattet, und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/21>, abgerufen am 27.07.2024. |