Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.Zur Seelennaturkunde. 1. Schreiben an den Herausgeber des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde. Jhre Widerlegung des Ahndungsvermögens im 1sten und 2ten Stück des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde hat meinen Glauben an jenes Ahndungsvermögen zwar geschwächt, aber noch nicht ganz vertilgt. Sie haben die Sache von einer philosophischen Seite betrachtet, und Jhre angeführten Gründe gegen die Ahndungen, die Sie aus der Natur der menschlichen Seele hergeleitet haben, können nach meiner Meinung nicht bündiger seyn, insofern sie sich auf die uns bisher bekannte Erkenntniß einer intellectuellen Substanz beziehen. Nach der gegenwärtigen uns bekannten Einrichtung unsrer Empfindungs- und Denkkraft lassen sich freilich Vorgefühle künftiger Begebenheiten, die an sich ganz zufällig sind, und die man nicht einmal zu vermuthen Grund hat, nicht erklären; aber dadurch haben Sie noch nicht bewiesen, daß es nicht noch mancherlei in uns liegende schlummernde Erkenntnißkräfte geben kann, die bisweilen nur in den Licht- und Bewußtseyns- Zur Seelennaturkunde. 1. Schreiben an den Herausgeber des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde. Jhre Widerlegung des Ahndungsvermoͤgens im 1sten und 2ten Stuͤck des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde hat meinen Glauben an jenes Ahndungsvermoͤgen zwar geschwaͤcht, aber noch nicht ganz vertilgt. Sie haben die Sache von einer philosophischen Seite betrachtet, und Jhre angefuͤhrten Gruͤnde gegen die Ahndungen, die Sie aus der Natur der menschlichen Seele hergeleitet haben, koͤnnen nach meiner Meinung nicht buͤndiger seyn, insofern sie sich auf die uns bisher bekannte Erkenntniß einer intellectuellen Substanz beziehen. Nach der gegenwaͤrtigen uns bekannten Einrichtung unsrer Empfindungs- und Denkkraft lassen sich freilich Vorgefuͤhle kuͤnftiger Begebenheiten, die an sich ganz zufaͤllig sind, und die man nicht einmal zu vermuthen Grund hat, nicht erklaͤren; aber dadurch haben Sie noch nicht bewiesen, daß es nicht noch mancherlei in uns liegende schlummernde Erkenntnißkraͤfte geben kann, die bisweilen nur in den Licht- und Bewußtseyns- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0071" n="69"/><lb/><lb/> </div> </div> <div n="2"> <head>Zur Seelennaturkunde.</head><lb/> <div n="3"> <head>1. Schreiben an den Herausgeber des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref174"><note type="editorial"/>Anonym</persName> </bibl> </note> <p>Jhre Widerlegung des Ahndungsvermoͤgens <choice><corr>im</corr><sic>im im</sic></choice> 1sten und 2ten Stuͤck des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde hat meinen Glauben an jenes Ahndungsvermoͤgen zwar geschwaͤcht, aber noch nicht ganz vertilgt. Sie haben die Sache von einer philosophischen Seite betrachtet, und Jhre angefuͤhrten Gruͤnde gegen die Ahndungen, die Sie aus der Natur der menschlichen Seele hergeleitet haben, koͤnnen nach meiner Meinung nicht buͤndiger seyn, insofern sie sich auf die uns <hi rendition="#b">bisher bekannte</hi> Erkenntniß einer intellectuellen Substanz beziehen. Nach der gegenwaͤrtigen uns bekannten Einrichtung unsrer Empfindungs- und Denkkraft lassen sich freilich Vorgefuͤhle kuͤnftiger Begebenheiten, die an sich ganz <hi rendition="#b">zufaͤllig</hi> sind, und die man nicht einmal zu vermuthen Grund hat, nicht erklaͤren; aber dadurch haben Sie noch nicht bewiesen, daß es nicht noch mancherlei in uns liegende <hi rendition="#b">schlummernde</hi> Erkenntnißkraͤfte geben kann, die bisweilen nur in den Licht- und Bewußtseyns-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0071]
Zur Seelennaturkunde.
1. Schreiben an den Herausgeber des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde.
Jhre Widerlegung des Ahndungsvermoͤgens im 1sten und 2ten Stuͤck des 5ten Bandes des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde hat meinen Glauben an jenes Ahndungsvermoͤgen zwar geschwaͤcht, aber noch nicht ganz vertilgt. Sie haben die Sache von einer philosophischen Seite betrachtet, und Jhre angefuͤhrten Gruͤnde gegen die Ahndungen, die Sie aus der Natur der menschlichen Seele hergeleitet haben, koͤnnen nach meiner Meinung nicht buͤndiger seyn, insofern sie sich auf die uns bisher bekannte Erkenntniß einer intellectuellen Substanz beziehen. Nach der gegenwaͤrtigen uns bekannten Einrichtung unsrer Empfindungs- und Denkkraft lassen sich freilich Vorgefuͤhle kuͤnftiger Begebenheiten, die an sich ganz zufaͤllig sind, und die man nicht einmal zu vermuthen Grund hat, nicht erklaͤren; aber dadurch haben Sie noch nicht bewiesen, daß es nicht noch mancherlei in uns liegende schlummernde Erkenntnißkraͤfte geben kann, die bisweilen nur in den Licht- und Bewußtseyns-
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