Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


sondern allein durch Prüfung des davon vorliegenden Zeugnisses entscheiden. Dabei fragt sich denn: a) Hat der Zeuge, auf dessen Aussage das Factum beruht, die Gaben, die Zeit und Gelegenheit, was er aussagt, richtig zu beobachten? b) Jst er unbefangen von irgend einer Meinung, die ihn veranlassen könnte, mehr oder weniger zu sehen und zu hören, als wirklich vorgeht? c) Hat er im Affect, oder ohne Affect beobachtet? d) Hat er so viel Rechtschaffenheit und guten Willen, die Sache zu sagen, wie sie ist? e) Jst er dabei völlig für sich uninteressirt; und hat er, so wie bei seiner Beobachtung selbst, also bei dem Zeugniß, was er giebt, nichts zu gewinnen, oder zu verlieren? f) Jst er stark, tugendhaft genug, auch mit Verlust die Wahrheit zu sagen? g) Darf er, kann er ohne Hinderniß sagen, was er denkt?

Jch kenne die Person gänzlich nicht; sehe aber aus den Erzählungen selbst, daß sie nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor ausgemacht, daß der Hr. D. und Praeses in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt. Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann überdrüssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: Gehe aus von ihm! Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht unterstehen dürfe die vorgegebene Facta zu läugnen, ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei-


sondern allein durch Pruͤfung des davon vorliegenden Zeugnisses entscheiden. Dabei fragt sich denn: a) Hat der Zeuge, auf dessen Aussage das Factum beruht, die Gaben, die Zeit und Gelegenheit, was er aussagt, richtig zu beobachten? b) Jst er unbefangen von irgend einer Meinung, die ihn veranlassen koͤnnte, mehr oder weniger zu sehen und zu hoͤren, als wirklich vorgeht? c) Hat er im Affect, oder ohne Affect beobachtet? d) Hat er so viel Rechtschaffenheit und guten Willen, die Sache zu sagen, wie sie ist? e) Jst er dabei voͤllig fuͤr sich uninteressirt; und hat er, so wie bei seiner Beobachtung selbst, also bei dem Zeugniß, was er giebt, nichts zu gewinnen, oder zu verlieren? f) Jst er stark, tugendhaft genug, auch mit Verlust die Wahrheit zu sagen? g) Darf er, kann er ohne Hinderniß sagen, was er denkt?

Jch kenne die Person gaͤnzlich nicht; sehe aber aus den Erzaͤhlungen selbst, daß sie nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor ausgemacht, daß der Hr. D. und Praeses in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt. Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann uͤberdruͤssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: Gehe aus von ihm! Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht unterstehen duͤrfe die vorgegebene Facta zu laͤugnen, ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0047" n="45"/><lb/>
sondern allein durch Pru&#x0364;fung des davon                   vorliegenden Zeugnisses entscheiden. Dabei fragt sich denn: <hi rendition="#aq">a)</hi> Hat der Zeuge, auf dessen Aussage das <hi rendition="#aq">Factum</hi> beruht, die Gaben, die Zeit und Gelegenheit, was er aussagt,                   richtig zu beobachten? <hi rendition="#aq">b)</hi> Jst er unbefangen von irgend                   einer Meinung, die ihn veranlassen ko&#x0364;nnte, mehr oder weniger zu sehen und zu                   ho&#x0364;ren, als wirklich vorgeht? <hi rendition="#aq">c)</hi> Hat er im Affect, oder                   ohne Affect beobachtet? <hi rendition="#aq">d)</hi> Hat er so viel                   Rechtschaffenheit und guten Willen, die Sache zu sagen, wie sie ist? <hi rendition="#aq">e)</hi> Jst er dabei vo&#x0364;llig fu&#x0364;r sich uninteressirt; und hat                   er, so wie bei seiner Beobachtung selbst, also bei dem Zeugniß, was er giebt,                   nichts zu gewinnen, oder zu verlieren? <hi rendition="#aq">f)</hi> Jst er                   stark, tugendhaft genug, auch mit Verlust die Wahrheit zu sagen? <hi rendition="#aq">g)</hi> Darf er, kann er ohne Hinderniß sagen, was er                   denkt?</p>
              <p>Jch kenne die Person ga&#x0364;nzlich nicht; sehe aber aus den Erza&#x0364;hlungen selbst, daß sie                   nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor                   ausgemacht, daß der Hr. <hi rendition="#aq">D.</hi> und <hi rendition="#aq">Praeses</hi> in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt.                   Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann                   u&#x0364;berdru&#x0364;ssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: <hi rendition="#b">Gehe aus von ihm!</hi> Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht                   unterstehen du&#x0364;rfe die vorgegebene <hi rendition="#aq">Facta</hi> zu la&#x0364;ugnen,                   ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0047] sondern allein durch Pruͤfung des davon vorliegenden Zeugnisses entscheiden. Dabei fragt sich denn: a) Hat der Zeuge, auf dessen Aussage das Factum beruht, die Gaben, die Zeit und Gelegenheit, was er aussagt, richtig zu beobachten? b) Jst er unbefangen von irgend einer Meinung, die ihn veranlassen koͤnnte, mehr oder weniger zu sehen und zu hoͤren, als wirklich vorgeht? c) Hat er im Affect, oder ohne Affect beobachtet? d) Hat er so viel Rechtschaffenheit und guten Willen, die Sache zu sagen, wie sie ist? e) Jst er dabei voͤllig fuͤr sich uninteressirt; und hat er, so wie bei seiner Beobachtung selbst, also bei dem Zeugniß, was er giebt, nichts zu gewinnen, oder zu verlieren? f) Jst er stark, tugendhaft genug, auch mit Verlust die Wahrheit zu sagen? g) Darf er, kann er ohne Hinderniß sagen, was er denkt? Jch kenne die Person gaͤnzlich nicht; sehe aber aus den Erzaͤhlungen selbst, daß sie nichts weniger als unbefangen ist. Bei der Erscheinung des Vaters war schon zuvor ausgemacht, daß der Hr. D. und Praeses in Straßburg recht habe, der ihm eine sichtbare Gestalt giebt. Auch ist sie nicht uninteressirt: denn sie war des Lebens mit ihrem Mann uͤberdruͤssig, wollte ihn verlassen, und nun kommt die Stimme: Gehe aus von ihm! Man merkt auch sichtbar, daß sich Niemand so leicht unterstehen duͤrfe die vorgegebene Facta zu laͤugnen, ohne ihren innigsten Unwillen aufzureizen; ein Kennzei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/47
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/47>, abgerufen am 24.11.2024.