Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
Wenn arme Leute unverschämt vor seiner Thür bettelten und wehklagten, so wurde ihnen, eben deswegen, nicht sogleich etwas gereicht. Wenn er aber aus seinem Zimmer, welches nach der Straße hinausging, irgend einen Kranken, Schwachen, oder Lahmen ausfindig machte, so schickte er alsbald zu ihnen, um sie zu trösten und zu unterstützen; und schenkte ihnen nicht etwa nur eine Kleinigkeit für dasmal, sondern so viel, daß sie sich viele Tage nachher noch davon erquicken konnten. Ausserdem pflegte er sich zu erkundigen, und darauf zu merken, welche von seinen Nachbaren fleissig in ihrem Beruf und Gewerbe waren, und welche von ihnen eine grosse Last von Kindern hat-
Wenn arme Leute unverschaͤmt vor seiner Thuͤr bettelten und wehklagten, so wurde ihnen, eben deswegen, nicht sogleich etwas gereicht. Wenn er aber aus seinem Zimmer, welches nach der Straße hinausging, irgend einen Kranken, Schwachen, oder Lahmen ausfindig machte, so schickte er alsbald zu ihnen, um sie zu troͤsten und zu unterstuͤtzen; und schenkte ihnen nicht etwa nur eine Kleinigkeit fuͤr dasmal, sondern so viel, daß sie sich viele Tage nachher noch davon erquicken konnten. Ausserdem pflegte er sich zu erkundigen, und darauf zu merken, welche von seinen Nachbaren fleissig in ihrem Beruf und Gewerbe waren, und welche von ihnen eine grosse Last von Kindern hat- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0032" n="30"/><lb/> auch mit vielen Weinen; welches alles von seiner Dienstmagd aufgetragen wurde. Nach einem Dankgebete fuͤr Gottes Wohlthaten, pflegte er dann eine reine Serviette anzustecken, ein Paar weisse Hollaͤndische Handschuh anzuziehen, die ihm bis an die Ellbogen reichten; dann schnitt er ein Gericht nach dem andern vor, und schickte einen Teller an einen armen Nachbar, und den zweiten an einen andern, bis der Tisch ganz leer war. Darauf betete er wieder, legte seine Serviette zusammen, und ließ das Tischtuch wieder wegnehmen. Dies pflegte er an dergleichen Tagen Mittags und Abends zu thun, ohne von irgend einem Gerichte selbst einen Bissen zu kosten.</p> <p>Wenn arme Leute unverschaͤmt vor seiner Thuͤr bettelten und wehklagten, so wurde ihnen, eben deswegen, nicht sogleich etwas gereicht. Wenn er aber aus seinem Zimmer, welches nach der Straße hinausging, irgend einen Kranken, Schwachen, oder Lahmen ausfindig machte, so schickte er alsbald zu ihnen, um sie zu troͤsten und zu unterstuͤtzen; und schenkte ihnen nicht etwa nur eine Kleinigkeit fuͤr dasmal, sondern so viel, daß sie sich viele Tage nachher noch davon erquicken konnten.</p> <p>Ausserdem pflegte er sich zu erkundigen, und darauf zu merken, welche von seinen Nachbaren fleissig in ihrem Beruf und Gewerbe waren, und welche von ihnen eine grosse Last von Kindern hat-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0032]
auch mit vielen Weinen; welches alles von seiner Dienstmagd aufgetragen wurde. Nach einem Dankgebete fuͤr Gottes Wohlthaten, pflegte er dann eine reine Serviette anzustecken, ein Paar weisse Hollaͤndische Handschuh anzuziehen, die ihm bis an die Ellbogen reichten; dann schnitt er ein Gericht nach dem andern vor, und schickte einen Teller an einen armen Nachbar, und den zweiten an einen andern, bis der Tisch ganz leer war. Darauf betete er wieder, legte seine Serviette zusammen, und ließ das Tischtuch wieder wegnehmen. Dies pflegte er an dergleichen Tagen Mittags und Abends zu thun, ohne von irgend einem Gerichte selbst einen Bissen zu kosten.
Wenn arme Leute unverschaͤmt vor seiner Thuͤr bettelten und wehklagten, so wurde ihnen, eben deswegen, nicht sogleich etwas gereicht. Wenn er aber aus seinem Zimmer, welches nach der Straße hinausging, irgend einen Kranken, Schwachen, oder Lahmen ausfindig machte, so schickte er alsbald zu ihnen, um sie zu troͤsten und zu unterstuͤtzen; und schenkte ihnen nicht etwa nur eine Kleinigkeit fuͤr dasmal, sondern so viel, daß sie sich viele Tage nachher noch davon erquicken konnten.
Ausserdem pflegte er sich zu erkundigen, und darauf zu merken, welche von seinen Nachbaren fleissig in ihrem Beruf und Gewerbe waren, und welche von ihnen eine grosse Last von Kindern hat-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/32 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/32>, abgerufen am 27.07.2024. |