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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

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sehliches Blachfeld, das ich nicht kannte, auf dem ich nicht wußte, wo ich war, war alles, was ich mir von der Zukunft dachte. (Vielleicht war der Verfasser dieses Bekenntnisses durch sein Philosophiren schon an diese Art, über die Zukunft zu denken, gewöhnt.) Das Bild war nicht anziehend, aber auch nicht widrig. Was dem Unangenehmen das Uebergewicht gab, war das Schauervolle, was Ungewißheit immer mit sich führt; und hieraus entstand dann natürlich der Wunsch, lieber noch auf dieser Seite des Styx das gegenüber liegende Ufer etwas zu betrachten, als gleich überzuschiffen."

Ein sehr natürliches Gefühl der menschlichen Seele! Es gehört eine Art Betäubung dieses Gefühls dazu, wenn uns der Gedanke von einer ungewissen Zukunft nicht beunruhigen soll; eine Betäubung, die bei den meisten Sterbenden durch die lebhaften Vorstellungen einer himmlischen Glückseligkeit, oder auch durch die Abnahme der Verstandeskräfte hervorgebracht wird, die uns endlich gemeiniglich über alle Zweifel in Absicht der Zukunft hinwegsezt, und uns einen Trost gewährt, den uns bei einem strengen Nachdenken die Vernunft nicht ganz gegeben haben würde.




sehliches Blachfeld, das ich nicht kannte, auf dem ich nicht wußte, wo ich war, war alles, was ich mir von der Zukunft dachte. (Vielleicht war der Verfasser dieses Bekenntnisses durch sein Philosophiren schon an diese Art, uͤber die Zukunft zu denken, gewoͤhnt.) Das Bild war nicht anziehend, aber auch nicht widrig. Was dem Unangenehmen das Uebergewicht gab, war das Schauervolle, was Ungewißheit immer mit sich fuͤhrt; und hieraus entstand dann natuͤrlich der Wunsch, lieber noch auf dieser Seite des Styx das gegenuͤber liegende Ufer etwas zu betrachten, als gleich uͤberzuschiffen.«

Ein sehr natuͤrliches Gefuͤhl der menschlichen Seele! Es gehoͤrt eine Art Betaͤubung dieses Gefuͤhls dazu, wenn uns der Gedanke von einer ungewissen Zukunft nicht beunruhigen soll; eine Betaͤubung, die bei den meisten Sterbenden durch die lebhaften Vorstellungen einer himmlischen Gluͤckseligkeit, oder auch durch die Abnahme der Verstandeskraͤfte hervorgebracht wird, die uns endlich gemeiniglich uͤber alle Zweifel in Absicht der Zukunft hinwegsezt, und uns einen Trost gewaͤhrt, den uns bei einem strengen Nachdenken die Vernunft nicht ganz gegeben haben wuͤrde.



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[9/0011] sehliches Blachfeld, das ich nicht kannte, auf dem ich nicht wußte, wo ich war, war alles, was ich mir von der Zukunft dachte. (Vielleicht war der Verfasser dieses Bekenntnisses durch sein Philosophiren schon an diese Art, uͤber die Zukunft zu denken, gewoͤhnt.) Das Bild war nicht anziehend, aber auch nicht widrig. Was dem Unangenehmen das Uebergewicht gab, war das Schauervolle, was Ungewißheit immer mit sich fuͤhrt; und hieraus entstand dann natuͤrlich der Wunsch, lieber noch auf dieser Seite des Styx das gegenuͤber liegende Ufer etwas zu betrachten, als gleich uͤberzuschiffen.« Ein sehr natuͤrliches Gefuͤhl der menschlichen Seele! Es gehoͤrt eine Art Betaͤubung dieses Gefuͤhls dazu, wenn uns der Gedanke von einer ungewissen Zukunft nicht beunruhigen soll; eine Betaͤubung, die bei den meisten Sterbenden durch die lebhaften Vorstellungen einer himmlischen Gluͤckseligkeit, oder auch durch die Abnahme der Verstandeskraͤfte hervorgebracht wird, die uns endlich gemeiniglich uͤber alle Zweifel in Absicht der Zukunft hinwegsezt, und uns einen Trost gewaͤhrt, den uns bei einem strengen Nachdenken die Vernunft nicht ganz gegeben haben wuͤrde.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/11>, abgerufen am 26.04.2024.