Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044" n="44"/><lb/> allen diesen Kunstgriffen haben sie die Ausstreuung mystischer Buͤcher verbunden, und sonderlich gewissen Arten von Menschen Aufschluͤsse darin versprochen, die ihnen kein weltliches Buch, keine Philosophie verschaffen koͤnne. — 3) Die jetzige, allgemein werdende, ausschweifende, nervenschwaͤchende, empfindelnde Lebensart, der ungeheure Luxus, die damit verbundene fehlerhafte fruͤhe Erziehung und Verzaͤrtelung unsrer Generation haben einen sichtbaren Einfluß in den Hang zur Schwaͤrmerey und Mystik. Der zu sehr sinnlich gewordene Mensch, der keine Kraft zum Denken mehr uͤbrig hat, der gern seine Phantasie in sanften Gefuͤhlen wiegt, und der jede Selbstuntersuchung fliehet, weil sie ihm laͤstig und unbequem wird, ergreift am liebsten ein Religionssystem, welches ihn gleichsam mit einer neuen Art Wollust naͤhrt, und sein Gewissen durch eine ertraͤumte mystische Gnade beruhigt. Man hat immer bemerkt, daß die Ausschweifendsten und sinnlichsten Menschen am leichtesten zur Schwaͤrmerey uͤbergehen, und sonderlich beym herannahenden Alter in die Arme eines Systems fliehen, worin sie sich am bequemsten uͤber ihr vergangenes Leben betaͤuben koͤnnen. Wie viele Menschen von dieser Art habe ich kennen gelernt! und wie bekannt ist es, daß die neuen Prediger der Schwaͤrmerey durch diese sich sehr wichtigen und zum Theil bedenklichen Einfluß verschaft haben.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0044]
allen diesen Kunstgriffen haben sie die Ausstreuung mystischer Buͤcher verbunden, und sonderlich gewissen Arten von Menschen Aufschluͤsse darin versprochen, die ihnen kein weltliches Buch, keine Philosophie verschaffen koͤnne. — 3) Die jetzige, allgemein werdende, ausschweifende, nervenschwaͤchende, empfindelnde Lebensart, der ungeheure Luxus, die damit verbundene fehlerhafte fruͤhe Erziehung und Verzaͤrtelung unsrer Generation haben einen sichtbaren Einfluß in den Hang zur Schwaͤrmerey und Mystik. Der zu sehr sinnlich gewordene Mensch, der keine Kraft zum Denken mehr uͤbrig hat, der gern seine Phantasie in sanften Gefuͤhlen wiegt, und der jede Selbstuntersuchung fliehet, weil sie ihm laͤstig und unbequem wird, ergreift am liebsten ein Religionssystem, welches ihn gleichsam mit einer neuen Art Wollust naͤhrt, und sein Gewissen durch eine ertraͤumte mystische Gnade beruhigt. Man hat immer bemerkt, daß die Ausschweifendsten und sinnlichsten Menschen am leichtesten zur Schwaͤrmerey uͤbergehen, und sonderlich beym herannahenden Alter in die Arme eines Systems fliehen, worin sie sich am bequemsten uͤber ihr vergangenes Leben betaͤuben koͤnnen. Wie viele Menschen von dieser Art habe ich kennen gelernt! und wie bekannt ist es, daß die neuen Prediger der Schwaͤrmerey durch diese sich sehr wichtigen und zum Theil bedenklichen Einfluß verschaft haben.
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