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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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die Kraft des schon getrunkenen Weins zu vervielfachen. Jch rede erst wahr und derb, dann wahr und unvorsichtig, dann wahr und unsittlich, weil ich bis ins achtzehnte Jahr unter lauter sehr gemeinen Leuten durch schlechte Redensarten erzogen bin, und also, wenn ich die Feder nicht in der Hand habe, jeder unbesonnene Affect mich in diese ungeschliffene Sprache wieder zurück führt".

"Daher wähle ich zuweilen, wenn Gelegenheit ohne mich da ist, in solchem Drange meiner Gedankennoth lieber ein die Aufmerksamkeit erzwingendes Spiel, als den Wein. Wenn ich aber nicht entweder zur Verbesserung der Wissenschaften, oder im Gram grüble, alsdann und also gemeiniglich lebe ich höchst ordentlich und enthaltsam von Wein und Spiel".


Herrn Semlers Confessionen von seinem Charakter und seiner Erziehung, welche in seiner bekannten Lebensbeschreibung hie und da zerstreut liegen, zeichnen sich vornehmlich durch die sonderbaren Umstände einer mystischen Erziehung aus, die er von seinem frommen Vater, welcher Anhänger einer damals sehr herrschenden Secte war, bekam. Der junge Semler sträubte sich lange gegen die frommen Gaukeleyen der Wiedergebornen, endlich gab er nach, und fand an der Lebens- und Denkungsart


die Kraft des schon getrunkenen Weins zu vervielfachen. Jch rede erst wahr und derb, dann wahr und unvorsichtig, dann wahr und unsittlich, weil ich bis ins achtzehnte Jahr unter lauter sehr gemeinen Leuten durch schlechte Redensarten erzogen bin, und also, wenn ich die Feder nicht in der Hand habe, jeder unbesonnene Affect mich in diese ungeschliffene Sprache wieder zuruͤck fuͤhrt«.

»Daher waͤhle ich zuweilen, wenn Gelegenheit ohne mich da ist, in solchem Drange meiner Gedankennoth lieber ein die Aufmerksamkeit erzwingendes Spiel, als den Wein. Wenn ich aber nicht entweder zur Verbesserung der Wissenschaften, oder im Gram gruͤble, alsdann und also gemeiniglich lebe ich hoͤchst ordentlich und enthaltsam von Wein und Spiel«.


Herrn Semlers Confessionen von seinem Charakter und seiner Erziehung, welche in seiner bekannten Lebensbeschreibung hie und da zerstreut liegen, zeichnen sich vornehmlich durch die sonderbaren Umstaͤnde einer mystischen Erziehung aus, die er von seinem frommen Vater, welcher Anhaͤnger einer damals sehr herrschenden Secte war, bekam. Der junge Semler straͤubte sich lange gegen die frommen Gaukeleyen der Wiedergebornen, endlich gab er nach, und fand an der Lebens- und Denkungsart

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[118/0118] die Kraft des schon getrunkenen Weins zu vervielfachen. Jch rede erst wahr und derb, dann wahr und unvorsichtig, dann wahr und unsittlich, weil ich bis ins achtzehnte Jahr unter lauter sehr gemeinen Leuten durch schlechte Redensarten erzogen bin, und also, wenn ich die Feder nicht in der Hand habe, jeder unbesonnene Affect mich in diese ungeschliffene Sprache wieder zuruͤck fuͤhrt«. »Daher waͤhle ich zuweilen, wenn Gelegenheit ohne mich da ist, in solchem Drange meiner Gedankennoth lieber ein die Aufmerksamkeit erzwingendes Spiel, als den Wein. Wenn ich aber nicht entweder zur Verbesserung der Wissenschaften, oder im Gram gruͤble, alsdann und also gemeiniglich lebe ich hoͤchst ordentlich und enthaltsam von Wein und Spiel«. Herrn Semlers Confessionen von seinem Charakter und seiner Erziehung, welche in seiner bekannten Lebensbeschreibung hie und da zerstreut liegen, zeichnen sich vornehmlich durch die sonderbaren Umstaͤnde einer mystischen Erziehung aus, die er von seinem frommen Vater, welcher Anhaͤnger einer damals sehr herrschenden Secte war, bekam. Der junge Semler straͤubte sich lange gegen die frommen Gaukeleyen der Wiedergebornen, endlich gab er nach, und fand an der Lebens- und Denkungsart

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/118>, abgerufen am 03.05.2024.