Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
Lorchen war schon achtzehn Jahr alt, aber noch nie hatte sie etwas von den Unruhen einer Leidenschaft gelitten, welche in der großen Welt so frühzeitig aufzukeimen pflegt, -- von der Liebe, und ihre Grundsätze waren viel zu edel, als daß ihre Eltern je die Verwirrungen ihres Herzens hätten fürchten dürfen, wodurch sie und ihr Kind auf immer unglücklich wurden. Man höre den Verlauf folgender Geschichte, die, so sehr sie auch einem Roman gleicht, doch eine wahrhafte Geschichte ist und bleibt. -- Es ist gewöhnlich, daß in Friedenszeiten in die sächsischen Dörfer eine gewiße Anzahl Reiter verlegt wird, welche von den Bauern für sich und ihre Pferde Unterhalt bekommen müssen. Oft sind es junge rasche Leute, die sich bei ihrem Müßiggange bis zum Uebermuthe pflegen, und vermöge ihres Kriegesrocks und ihres militärischen Standes einen Eintritt in alle Bauerhöfe, und auch bei dem Prediger und Schulmeister haben. Ein solcher junger, rascher und zugleich schöner Mann wurde nach W-- verlegt, und es dauerte nicht lange, als er mit dem alten Prediger N-- Bekanntschaft machte. Der junge Reiter hatte mehr Bildung des Verstandes, als Leute seiner Art gemeiniglich zu haben pfle-
Lorchen war schon achtzehn Jahr alt, aber noch nie hatte sie etwas von den Unruhen einer Leidenschaft gelitten, welche in der großen Welt so fruͤhzeitig aufzukeimen pflegt, — von der Liebe, und ihre Grundsaͤtze waren viel zu edel, als daß ihre Eltern je die Verwirrungen ihres Herzens haͤtten fuͤrchten duͤrfen, wodurch sie und ihr Kind auf immer ungluͤcklich wurden. Man hoͤre den Verlauf folgender Geschichte, die, so sehr sie auch einem Roman gleicht, doch eine wahrhafte Geschichte ist und bleibt. — Es ist gewoͤhnlich, daß in Friedenszeiten in die saͤchsischen Doͤrfer eine gewiße Anzahl Reiter verlegt wird, welche von den Bauern fuͤr sich und ihre Pferde Unterhalt bekommen muͤssen. Oft sind es junge rasche Leute, die sich bei ihrem Muͤßiggange bis zum Uebermuthe pflegen, und vermoͤge ihres Kriegesrocks und ihres militaͤrischen Standes einen Eintritt in alle Bauerhoͤfe, und auch bei dem Prediger und Schulmeister haben. Ein solcher junger, rascher und zugleich schoͤner Mann wurde nach W— verlegt, und es dauerte nicht lange, als er mit dem alten Prediger N— Bekanntschaft machte. Der junge Reiter hatte mehr Bildung des Verstandes, als Leute seiner Art gemeiniglich zu haben pfle- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0048" n="48"/><lb/> unruhig, wenn er sie in einigen Stunden nicht gesehen hatte, und sie war daher gemeiniglich seine getreue Begleiterin, wenn er auf sein Filial oder auf seine Aecker ging.</p> <p>Lorchen war schon achtzehn Jahr alt, aber noch nie hatte sie etwas von den Unruhen einer Leidenschaft gelitten, welche in der großen Welt so fruͤhzeitig aufzukeimen pflegt, — von der Liebe, und ihre Grundsaͤtze waren viel zu edel, als daß ihre Eltern je die Verwirrungen ihres Herzens haͤtten fuͤrchten duͤrfen, wodurch sie und ihr Kind auf immer ungluͤcklich wurden. Man hoͤre den Verlauf folgender Geschichte, die, so sehr sie auch einem Roman gleicht, doch eine <hi rendition="#b">wahrhafte</hi> Geschichte ist und bleibt. —</p> <p>Es ist gewoͤhnlich, daß in Friedenszeiten in die saͤchsischen Doͤrfer eine gewiße Anzahl Reiter verlegt wird, welche von den Bauern fuͤr sich und ihre Pferde Unterhalt bekommen muͤssen. Oft sind es junge rasche Leute, die sich bei ihrem Muͤßiggange bis zum Uebermuthe pflegen, und vermoͤge ihres Kriegesrocks und ihres militaͤrischen Standes einen Eintritt in alle Bauerhoͤfe, und auch bei dem Prediger und Schulmeister haben. Ein solcher junger, rascher und zugleich schoͤner Mann wurde nach W— verlegt, und es dauerte nicht lange, als er mit dem alten Prediger N— Bekanntschaft machte. Der junge Reiter hatte mehr Bildung des Verstandes, als Leute seiner Art gemeiniglich zu haben pfle-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0048]
unruhig, wenn er sie in einigen Stunden nicht gesehen hatte, und sie war daher gemeiniglich seine getreue Begleiterin, wenn er auf sein Filial oder auf seine Aecker ging.
Lorchen war schon achtzehn Jahr alt, aber noch nie hatte sie etwas von den Unruhen einer Leidenschaft gelitten, welche in der großen Welt so fruͤhzeitig aufzukeimen pflegt, — von der Liebe, und ihre Grundsaͤtze waren viel zu edel, als daß ihre Eltern je die Verwirrungen ihres Herzens haͤtten fuͤrchten duͤrfen, wodurch sie und ihr Kind auf immer ungluͤcklich wurden. Man hoͤre den Verlauf folgender Geschichte, die, so sehr sie auch einem Roman gleicht, doch eine wahrhafte Geschichte ist und bleibt. —
Es ist gewoͤhnlich, daß in Friedenszeiten in die saͤchsischen Doͤrfer eine gewiße Anzahl Reiter verlegt wird, welche von den Bauern fuͤr sich und ihre Pferde Unterhalt bekommen muͤssen. Oft sind es junge rasche Leute, die sich bei ihrem Muͤßiggange bis zum Uebermuthe pflegen, und vermoͤge ihres Kriegesrocks und ihres militaͤrischen Standes einen Eintritt in alle Bauerhoͤfe, und auch bei dem Prediger und Schulmeister haben. Ein solcher junger, rascher und zugleich schoͤner Mann wurde nach W— verlegt, und es dauerte nicht lange, als er mit dem alten Prediger N— Bekanntschaft machte. Der junge Reiter hatte mehr Bildung des Verstandes, als Leute seiner Art gemeiniglich zu haben pfle-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/48>, abgerufen am 22.07.2024. |