Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
*) Jn Absicht dieser Fragen läßt sich freilich nichts mit Gewißheit bestimmen; aber so viel kann doch wohl nicht geläugnet werden, daß in der menschlichen Maschine noch eine viel größere Anzahl von Anlagen zu sinnlichen Vergnügungen verborgen liege, als wir jetzt genießen. Das Gefühl, als der ausgebreitetste Sinn, ist noch unendlich vieler Verfeinerungen und Empfindungen fähig, die wir erst einmahl in Zukunft werden kennen lernen; vielleicht liegt in jedem Theilchen unserer Maschine eine eben so große Anlage, an demselben ein sinnliches Vergnügen, als einen sinnlichen Schmerz zu empfinden, und es läßt sich gar wohl denken, daß unser Leib einmal so verfeinert werden kann, daß die ihn umströmende Materie des Aethers einen unaufhörlichen angenehmen Kitzel an den Endfäden der Nerven hervorzubringen im Stande ist. Man weiß von den Türken, daß sie bei ihren verliebten Zusammenkünften einen hohen Grad der Wollust darein setzen, wenn sie sich einander die Fußsolen leise mit den Zähen berühren können. Freilich mag die Natur wichtige Absichten gehabt haben, warum sie uns nicht überall so empfindlich für das Vergnügen, als für den Schmerz gemacht hat. Wir würden ganz allein für das erstere leben, ohne an eine höhere Bestimmung unsrer Natur zu edeln Handlungen und an die Ausbildung unseres Geistes zu denken.
*) Jn Absicht dieser Fragen laͤßt sich freilich nichts mit Gewißheit bestimmen; aber so viel kann doch wohl nicht gelaͤugnet werden, daß in der menschlichen Maschine noch eine viel groͤßere Anzahl von Anlagen zu sinnlichen Vergnuͤgungen verborgen liege, als wir jetzt genießen. Das Gefuͤhl, als der ausgebreitetste Sinn, ist noch unendlich vieler Verfeinerungen und Empfindungen faͤhig, die wir erst einmahl in Zukunft werden kennen lernen; vielleicht liegt in jedem Theilchen unserer Maschine eine eben so große Anlage, an demselben ein sinnliches Vergnuͤgen, als einen sinnlichen Schmerz zu empfinden, und es laͤßt sich gar wohl denken, daß unser Leib einmal so verfeinert werden kann, daß die ihn umstroͤmende Materie des Aethers einen unaufhoͤrlichen angenehmen Kitzel an den Endfaͤden der Nerven hervorzubringen im Stande ist. Man weiß von den Tuͤrken, daß sie bei ihren verliebten Zusammenkuͤnften einen hohen Grad der Wollust darein setzen, wenn sie sich einander die Fußsolen leise mit den Zaͤhen beruͤhren koͤnnen. Freilich mag die Natur wichtige Absichten gehabt haben, warum sie uns nicht uͤberall so empfindlich fuͤr das Vergnuͤgen, als fuͤr den Schmerz gemacht hat. Wir wuͤrden ganz allein fuͤr das erstere leben, ohne an eine hoͤhere Bestimmung unsrer Natur zu edeln Handlungen und an die Ausbildung unseres Geistes zu denken.
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fen, noch des Tages etwas davor verrichten koͤnnen! Habe ich aber jemahls in Zaͤhen oder in Zaͤhnen solche Wollust empfunden, die dem Schmerze gleich gewesen, so ich in denselben ausgestanden? Sollte aber derjenige Theil des Leibes, so des Schmerzens faͤhig, nicht durch eine andere Bewegung eben so gut eines gleichen Grades der Wollust faͤhig seyn? Es scheint, daß Gott weise Ursachen gehabt, daß er die Wolluͤste des Leibes nicht so groß und so viel, als die Schmerzen desselben in der Welt gemacht, weil die Menschen sonst ihr Herz noch hundertmahl mehr, als jetzund geschiehet, an die Welt und an die Erquickungen, die wir mit den Thieren gemein haben, haͤngen duͤrften. — Wer weiß, was geschehen seyn wuͤrde, wenn die Menschen im Stande der Unschuld geblieben waͤren? Und wer weiß, was Gott einst im Himmel thun wird? Ob nicht daselbst alle Glieder des verklaͤrten Leibes oͤfters dermaßen werden bewegt werden, daß die groͤßten und suͤßesten Empfindungen daraus entstehen werden. Sollten die vielen sinnlichen Kraͤfte und Faͤhigkeiten, so hier der Seele wesentlich gewesen, im Himmel aufhoͤren, und nicht vielmehr auf einen hoͤhern Grad gesetzt werden? Sollte das Vergnuͤgen des Leibes im Himmel einmahl nicht eben so groß seyn, als hier auf Erden der Schmerz gewesen?«*) — —
*) Jn Absicht dieser Fragen laͤßt sich freilich nichts mit Gewißheit bestimmen; aber so viel kann doch wohl nicht gelaͤugnet werden, daß in der menschlichen Maschine noch eine viel groͤßere Anzahl von Anlagen zu sinnlichen Vergnuͤgungen verborgen liege, als wir jetzt genießen. Das Gefuͤhl, als der ausgebreitetste Sinn, ist noch unendlich vieler Verfeinerungen und Empfindungen faͤhig, die wir erst einmahl in Zukunft werden kennen lernen; vielleicht liegt in jedem Theilchen unserer Maschine eine eben so große Anlage, an demselben ein sinnliches Vergnuͤgen, als einen sinnlichen Schmerz zu empfinden, und es laͤßt sich gar wohl denken, daß unser Leib einmal so verfeinert werden kann, daß die ihn umstroͤmende Materie des Aethers einen unaufhoͤrlichen angenehmen Kitzel an den Endfaͤden der Nerven hervorzubringen im Stande ist. Man weiß von den Tuͤrken, daß sie bei ihren verliebten Zusammenkuͤnften einen hohen Grad der Wollust darein setzen, wenn sie sich einander die Fußsolen leise mit den Zaͤhen beruͤhren koͤnnen. Freilich mag die Natur wichtige Absichten gehabt haben, warum sie uns nicht uͤberall so empfindlich fuͤr das Vergnuͤgen, als fuͤr den Schmerz gemacht hat. Wir wuͤrden ganz allein fuͤr das erstere leben, ohne an eine hoͤhere Bestimmung unsrer Natur zu edeln Handlungen und an die Ausbildung unseres Geistes zu denken.
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