Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0116" n="116"/><lb/> ligionshaß zu benehmen, den man in den vorigen Jahren einsog, und der in einer Stadt, wie Sp.. ist, so nachtheilig und gefaͤhrlich seyn konnte. Diesen Lehrer hatte ich 2 Jahre, und da ich auch eines naͤhern Umganges mit ihm genoß, so ward ich wieder freier, offener, umgaͤnglicher und munterer, doch nicht so ganz aufgeraͤumt mehr, daß mich nicht zuweilen eine truͤbe Stunde uͤberfiel, eine Folge des vorigen Jahres. Dieser Mann fiel, wie ich nachher hoͤrte, in die unseelige Krankheit, Hypochondrie, und ist jetzt der ungluͤcklichste Mensch; dieser Mann, der immer von dem heitersten Gemuͤthe, von der besten Laune war, stuͤrzt nun auf einmahl in das entgegengesetzte Extrem, wo er sich uͤberall Verfolgungen und Scenen erdenkt, die nie existiren, wo er um sich her nichts als Gift und Dolche, sich auf allen Seiten von Feinden umrungen glaubt; er bildet sich ein: jeder Mensch suche ihn zu verderben; er hat daher nirgends eine bleibende Staͤtte, und da er ein Moͤnch ist, so wandert er von einem Kloster zum andern. Jndessen leidet er weder von seinen Mitbruͤdern noch von seinen Vorgesetzten eine Bedruͤckung oder harte Begegnung; man ist vielmehr gegen ihn aͤußerst gefaͤllig und nachgiebig; man sucht alles auf, ihn von seinem Jrrwahn zu uͤberfuͤhren; alle Bemuͤhung aber ist fruchtlos. Der offenbarste Kontrast zwischen 2 Extremen, ein Fall, der mir eben so unerklaͤrbar, als er contrastirend ist.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0116]
ligionshaß zu benehmen, den man in den vorigen Jahren einsog, und der in einer Stadt, wie Sp.. ist, so nachtheilig und gefaͤhrlich seyn konnte. Diesen Lehrer hatte ich 2 Jahre, und da ich auch eines naͤhern Umganges mit ihm genoß, so ward ich wieder freier, offener, umgaͤnglicher und munterer, doch nicht so ganz aufgeraͤumt mehr, daß mich nicht zuweilen eine truͤbe Stunde uͤberfiel, eine Folge des vorigen Jahres. Dieser Mann fiel, wie ich nachher hoͤrte, in die unseelige Krankheit, Hypochondrie, und ist jetzt der ungluͤcklichste Mensch; dieser Mann, der immer von dem heitersten Gemuͤthe, von der besten Laune war, stuͤrzt nun auf einmahl in das entgegengesetzte Extrem, wo er sich uͤberall Verfolgungen und Scenen erdenkt, die nie existiren, wo er um sich her nichts als Gift und Dolche, sich auf allen Seiten von Feinden umrungen glaubt; er bildet sich ein: jeder Mensch suche ihn zu verderben; er hat daher nirgends eine bleibende Staͤtte, und da er ein Moͤnch ist, so wandert er von einem Kloster zum andern. Jndessen leidet er weder von seinen Mitbruͤdern noch von seinen Vorgesetzten eine Bedruͤckung oder harte Begegnung; man ist vielmehr gegen ihn aͤußerst gefaͤllig und nachgiebig; man sucht alles auf, ihn von seinem Jrrwahn zu uͤberfuͤhren; alle Bemuͤhung aber ist fruchtlos. Der offenbarste Kontrast zwischen 2 Extremen, ein Fall, der mir eben so unerklaͤrbar, als er contrastirend ist.
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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