Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


freudenlosen Tag machte. Jn diesen Umständen, die eben so sehr auf meinen Geist, als auf meinen Körper würkten, mußten nun auch verschiedene eben so traurige Folgen für mich gegründet werden; ich wurde schüchtern, menschenscheu, zur Melancholie geneigt, auch wohl verstellt, tückisch und mürrisch, welches Unheil in dem Character eines Menschen, welche Ausartung seines sittlichen Wesens, welche verderbende Angewöhnungen haben ihr Daseyn der vernunftlosen Behandlungsart eines Lehrers, dessen Unerfahrenheit und übler Schullaune zu verdanken!

Das 2te Jahr bekam ich einen andern Lehrer, der sein Geschäft besser verstand, seine Schüler nicht so eigensinnig, sondern vernünftiger behandelte; Er war freier von Partheilichkeit, von Vorurtheilen, minder anhänglich an schulgerechte Meinungen; hatte eine angemessenere Lehrmethode, weniger üble Launen und Kathederstolz; Er brauchte nur selten körperliche Strafen, und da mußte er wichtige Gründe haben. Er ermunterte den Fleiß, machte die Trägheit zu Schande, hatte Nachsicht mit der Schwachheit; er ließ sich zu der Fassungskraft eines jeden herunter; sein aufgereimtes Wesen machte dem Trägen sowohl als dem Wißbegierigen die Schule angenehm. Jn seiner Gesellschaft verlor sich der Eigensinn und das mürrische Wesen, auch des starrsinnigsten Schülers; besonders flößte er uns tolerante Gesinnungen ein, suchte uns den Re-


freudenlosen Tag machte. Jn diesen Umstaͤnden, die eben so sehr auf meinen Geist, als auf meinen Koͤrper wuͤrkten, mußten nun auch verschiedene eben so traurige Folgen fuͤr mich gegruͤndet werden; ich wurde schuͤchtern, menschenscheu, zur Melancholie geneigt, auch wohl verstellt, tuͤckisch und muͤrrisch, welches Unheil in dem Character eines Menschen, welche Ausartung seines sittlichen Wesens, welche verderbende Angewoͤhnungen haben ihr Daseyn der vernunftlosen Behandlungsart eines Lehrers, dessen Unerfahrenheit und uͤbler Schullaune zu verdanken!

Das 2te Jahr bekam ich einen andern Lehrer, der sein Geschaͤft besser verstand, seine Schuͤler nicht so eigensinnig, sondern vernuͤnftiger behandelte; Er war freier von Partheilichkeit, von Vorurtheilen, minder anhaͤnglich an schulgerechte Meinungen; hatte eine angemessenere Lehrmethode, weniger uͤble Launen und Kathederstolz; Er brauchte nur selten koͤrperliche Strafen, und da mußte er wichtige Gruͤnde haben. Er ermunterte den Fleiß, machte die Traͤgheit zu Schande, hatte Nachsicht mit der Schwachheit; er ließ sich zu der Fassungskraft eines jeden herunter; sein aufgereimtes Wesen machte dem Traͤgen sowohl als dem Wißbegierigen die Schule angenehm. Jn seiner Gesellschaft verlor sich der Eigensinn und das muͤrrische Wesen, auch des starrsinnigsten Schuͤlers; besonders floͤßte er uns tolerante Gesinnungen ein, suchte uns den Re-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0115" n="115"/><lb/>
freudenlosen Tag machte.                   Jn diesen Umsta&#x0364;nden, die eben so sehr auf meinen Geist, als auf meinen Ko&#x0364;rper                   wu&#x0364;rkten, mußten nun auch verschiedene eben so traurige Folgen fu&#x0364;r mich gegru&#x0364;ndet                   werden; ich wurde schu&#x0364;chtern, menschenscheu, zur Melancholie geneigt, auch wohl                   verstellt, tu&#x0364;ckisch und mu&#x0364;rrisch, welches Unheil in dem Character eines Menschen,                   welche Ausartung seines sittlichen Wesens, welche verderbende Angewo&#x0364;hnungen haben                   ihr Daseyn der vernunftlosen Behandlungsart eines Lehrers, dessen Unerfahrenheit                   und u&#x0364;bler Schullaune zu verdanken!</p>
            <p>Das 2te Jahr bekam ich einen andern Lehrer, der sein Gescha&#x0364;ft besser verstand,                   seine Schu&#x0364;ler nicht so eigensinnig, sondern vernu&#x0364;nftiger behandelte; Er war freier                   von Partheilichkeit, von Vorurtheilen, minder anha&#x0364;nglich an schulgerechte                   Meinungen; hatte eine angemessenere Lehrmethode, weniger u&#x0364;ble Launen und                   Kathederstolz; Er brauchte nur selten ko&#x0364;rperliche Strafen, und da mußte er                   wichtige Gru&#x0364;nde haben. Er ermunterte den Fleiß, machte die Tra&#x0364;gheit zu Schande,                   hatte Nachsicht mit der Schwachheit; er ließ sich zu der Fassungskraft eines jeden                   herunter; sein aufgereimtes Wesen machte dem Tra&#x0364;gen sowohl als dem Wißbegierigen                   die Schule angenehm. Jn seiner Gesellschaft verlor sich der Eigensinn und das                   mu&#x0364;rrische Wesen, auch des starrsinnigsten Schu&#x0364;lers; besonders flo&#x0364;ßte er uns                   tolerante Gesinnungen ein, suchte uns den Re-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0115] freudenlosen Tag machte. Jn diesen Umstaͤnden, die eben so sehr auf meinen Geist, als auf meinen Koͤrper wuͤrkten, mußten nun auch verschiedene eben so traurige Folgen fuͤr mich gegruͤndet werden; ich wurde schuͤchtern, menschenscheu, zur Melancholie geneigt, auch wohl verstellt, tuͤckisch und muͤrrisch, welches Unheil in dem Character eines Menschen, welche Ausartung seines sittlichen Wesens, welche verderbende Angewoͤhnungen haben ihr Daseyn der vernunftlosen Behandlungsart eines Lehrers, dessen Unerfahrenheit und uͤbler Schullaune zu verdanken! Das 2te Jahr bekam ich einen andern Lehrer, der sein Geschaͤft besser verstand, seine Schuͤler nicht so eigensinnig, sondern vernuͤnftiger behandelte; Er war freier von Partheilichkeit, von Vorurtheilen, minder anhaͤnglich an schulgerechte Meinungen; hatte eine angemessenere Lehrmethode, weniger uͤble Launen und Kathederstolz; Er brauchte nur selten koͤrperliche Strafen, und da mußte er wichtige Gruͤnde haben. Er ermunterte den Fleiß, machte die Traͤgheit zu Schande, hatte Nachsicht mit der Schwachheit; er ließ sich zu der Fassungskraft eines jeden herunter; sein aufgereimtes Wesen machte dem Traͤgen sowohl als dem Wißbegierigen die Schule angenehm. Jn seiner Gesellschaft verlor sich der Eigensinn und das muͤrrische Wesen, auch des starrsinnigsten Schuͤlers; besonders floͤßte er uns tolerante Gesinnungen ein, suchte uns den Re-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/115
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/115>, abgerufen am 05.05.2024.