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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

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Es frägt sich, welche Art Träume die häufigsten sind, die, welche durch den Körper, oder die, welche durch die Seelenkraft allein veranlaßt werden? Um dies genauer zu bestimmen, müßten wir den menschlichen Körper würklich genauer kennen. Er kann tausend Gedanken und Empfindungen im Wachen sowohl als im Traum in uns veranlassen, ohne daß wir es wissen, daß er sie veranlaßt hat, und vielleicht giebt es keinen einzigen Traum, der nicht durch einen uns freilich oft unbekannten Einfluß des Körpers aufs Gehirn veranlaßt wird, ob ich gleich nicht behaupten möchte, daß wir bei einer völligen Gesundheit unsrer animalischen Maschine nicht träumen. Eben so schwer ist es nun auch zu beantworten, warum und wie die Seele bei ihren Träumen diesen und jenen Weg und keinen andern nimmt, warum sich die Jdeen so und nicht anders associirten?

Daß diese Association nach den bekannten Gesetzen der Einbildungskraft erfolge und erfolgen müsse, ist wohl nicht zu läugnen, und auch in dem verworrensten Traum giebt es noch einen Zusammenhang, wo eine Jdee an die andre gekettet ist, ob wir gleich darin bei den Wiederhohlungen desselben im Wachen ungeheure Lücken und Sprünge wahrzunehmen glauben*). Vielleicht würden wir

*) Sonderbar ists mir immer vorgekommen, daß wir die Sprünge unsrer Phantasie während des Traums selbst nicht zu bemerken scheinen, daß sie uns lange nicht so sehr, wie im Wachen, auffallen. So lange wir träumen, scheint alles einen sehr guten Zusammenhang zu haben, es kommt uns selten etwas unnatürlich vor, ja das allerunnatürlichste scheint uns oft etwas sehr gewohnliches und natürliches zu seyn, worüber wir doch erstaunen, sobald wir aufwachen.

Es fraͤgt sich, welche Art Traͤume die haͤufigsten sind, die, welche durch den Koͤrper, oder die, welche durch die Seelenkraft allein veranlaßt werden? Um dies genauer zu bestimmen, muͤßten wir den menschlichen Koͤrper wuͤrklich genauer kennen. Er kann tausend Gedanken und Empfindungen im Wachen sowohl als im Traum in uns veranlassen, ohne daß wir es wissen, daß er sie veranlaßt hat, und vielleicht giebt es keinen einzigen Traum, der nicht durch einen uns freilich oft unbekannten Einfluß des Koͤrpers aufs Gehirn veranlaßt wird, ob ich gleich nicht behaupten moͤchte, daß wir bei einer voͤlligen Gesundheit unsrer animalischen Maschine nicht traͤumen. Eben so schwer ist es nun auch zu beantworten, warum und wie die Seele bei ihren Traͤumen diesen und jenen Weg und keinen andern nimmt, warum sich die Jdeen so und nicht anders associirten?

Daß diese Association nach den bekannten Gesetzen der Einbildungskraft erfolge und erfolgen muͤsse, ist wohl nicht zu laͤugnen, und auch in dem verworrensten Traum giebt es noch einen Zusammenhang, wo eine Jdee an die andre gekettet ist, ob wir gleich darin bei den Wiederhohlungen desselben im Wachen ungeheure Luͤcken und Spruͤnge wahrzunehmen glauben*). Vielleicht wuͤrden wir

*) Sonderbar ists mir immer vorgekommen, daß wir die Spruͤnge unsrer Phantasie waͤhrend des Traums selbst nicht zu bemerken scheinen, daß sie uns lange nicht so sehr, wie im Wachen, auffallen. So lange wir traͤumen, scheint alles einen sehr guten Zusammenhang zu haben, es kommt uns selten etwas unnatuͤrlich vor, ja das allerunnatuͤrlichste scheint uns oft etwas sehr gewohnliches und natuͤrliches zu seyn, woruͤber wir doch erstaunen, sobald wir aufwachen.
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[101/0101] Es fraͤgt sich, welche Art Traͤume die haͤufigsten sind, die, welche durch den Koͤrper, oder die, welche durch die Seelenkraft allein veranlaßt werden? Um dies genauer zu bestimmen, muͤßten wir den menschlichen Koͤrper wuͤrklich genauer kennen. Er kann tausend Gedanken und Empfindungen im Wachen sowohl als im Traum in uns veranlassen, ohne daß wir es wissen, daß er sie veranlaßt hat, und vielleicht giebt es keinen einzigen Traum, der nicht durch einen uns freilich oft unbekannten Einfluß des Koͤrpers aufs Gehirn veranlaßt wird, ob ich gleich nicht behaupten moͤchte, daß wir bei einer voͤlligen Gesundheit unsrer animalischen Maschine nicht traͤumen. Eben so schwer ist es nun auch zu beantworten, warum und wie die Seele bei ihren Traͤumen diesen und jenen Weg und keinen andern nimmt, warum sich die Jdeen so und nicht anders associirten? Daß diese Association nach den bekannten Gesetzen der Einbildungskraft erfolge und erfolgen muͤsse, ist wohl nicht zu laͤugnen, und auch in dem verworrensten Traum giebt es noch einen Zusammenhang, wo eine Jdee an die andre gekettet ist, ob wir gleich darin bei den Wiederhohlungen desselben im Wachen ungeheure Luͤcken und Spruͤnge wahrzunehmen glauben*) . Vielleicht wuͤrden wir *) Sonderbar ists mir immer vorgekommen, daß wir die Spruͤnge unsrer Phantasie waͤhrend des Traums selbst nicht zu bemerken scheinen, daß sie uns lange nicht so sehr, wie im Wachen, auffallen. So lange wir traͤumen, scheint alles einen sehr guten Zusammenhang zu haben, es kommt uns selten etwas unnatuͤrlich vor, ja das allerunnatuͤrlichste scheint uns oft etwas sehr gewohnliches und natuͤrliches zu seyn, woruͤber wir doch erstaunen, sobald wir aufwachen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/101>, abgerufen am 24.11.2024.